FRANKFURT (dpa-AFX) - Die Rekordrally des Dax muss sich in der neuen Woche einer Realitätsprüfung unterziehen. Der Höhenflug am deutschen Aktienmarkt basiert derzeit insbesondere auf der Hoffnung, dass die Leitzinsen in den USA doch wieder eher früher als später sinken. Dies würde die Wirtschaft stimulieren und Aktien gegenüber Anleihen attraktiver machen. Doch falls sich am Mittwoch wider Erwarten zeigen sollte, dass die Inflation in den Vereinigten Staaten im April deutlich angezogen ist, könnte es an den Börsen ungemütlich werden. Denn dann könnte sich die US-Notenbank Fed gezwungen sehen, einen härteren geldpolitischen Kurs zu fahren.

Noch aber herrsche Kauflaune am hiesigen Aktienmarkt, schrieb der Kapitalmarktstratege Jürgen Molnar vom Handelshaus Robomarkets: "Der Dax kennt kein Halten mehr." Aktuell erlebten die Anleger eine der besten Börsenwelten. So gebe es konjunkturelle Hoffnungsschimmer aus Deutschland, der Eurozone und China. Zudem seien Arbeitsmarktzahlen aus den USA zuletzt schwach ausgefallen, was die geldpolitischen Lockerungsabsichten der Fed unterstreiche. "Für den Dax heißt die nächste Anlaufstelle nun 19 000 Punkte", resümierte Molnar.

Auch laut Analyst Sven Streibel von der DZ Bank stehen die Börsenampeln weiterhin auf Grün. So sei der Dax immer noch nicht teuer, wenngleich er derzeit auf Rekordniveau notiert. Die Bewertung des Leitindex "reflektiert auf dem aktuell eher durchschnittlichen Level schlicht ein geringeres Weltuntergangsrisiko als noch vor sechs Monaten" - und das, obwohl der Leitindex ein überdurchschnittlicher Profiteur einer bevorstehenden globalen Konjunkturverbesserung sei.

Wie tragfähig dieses positive Szenario ist, dürfte sich zur Wochenmitte zeigen. "Alle Augen richten sich auf die US-Inflationszahlen", schrieb Robert Greil, Chefstratege bei der Privatbank Merck Finck. Die Teuerung sollte zwar seiner Auffassung nach minimal gesunken sein, sie dürfte aber anders als in der Eurozone inklusive Deutschland weiter spürbar über drei Prozent verharren.

Greil hält dieses Niveau nach wie vor für deutlich zu hoch, um der US-Notenbank eine baldige erste Leitzinssenkung zu erlauben. Der im Vergleich zu Europa hartnäckigere Inflationstrend in den USA dürfte nun ungewöhnlicherweise dazu führen, dass die Europäischen Zentralbank (EZB) am 6. Juni zumindest einige Monate vor der Fed mit den Leitzinssenkungen beginnt. Der Experte rechnet mit insgesamt drei Leitzinssenkungen der EZB in diesem Jahr, während er bei der Fed frühestens ab Herbst zwei für realistisch hält.

Auch die Analysten der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) mahnen zur Vorsicht. Zwar bleibe in den USA der grundlegende Abwärtstrend bei der jährlichen Kernteuerungsrate ohne Energie und Nahrungsmittel intakt, doch auch im Frühjahr 2024 habe sich diese Kenngröße überraschend störrisch gezeigt. "Die letzten Monate waren eine kalte Dusche für diejenigen, die das Inflationsproblem mental schon beerdigt hatten", hieß es. Das Risiko, dass die Inflationslage es der Fed nicht erlaubt, in absehbarer Zeit die Geldpolitik nennenswert zu lockern, habe zugenommen. Insofern sei eine Atempause für Aktien gar nicht mal so schlecht.

Gleichwohl habe der Dax auch vor dem Hintergrund solider Unternehmensnachrichten seine jüngsten Höchststände erreicht, fuhren die Experten der Helaba fort. Auch deshalb dürften die Anleger auch in der neuen Woche die Berichtssaison der Unternehmen genau verfolgen.

Dabei stehen erneut viele Geschäftszahlen auf der Agenda. So informieren etwa der Agrarchemie- und Pharmakonzern Bayer am Dienstag sowie die Commerzbank , der Energiekonzern RWE und der Versicherer Allianz am Mittwoch über ihre Aktivitäten im ersten Quartal. Am Donnerstag folgen dann unter anderem der Industriekonzern Siemens und die Deutsche Telekom .

Unter dem Strich zeigte sich Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank, zuversichtlich: "Das Finanzsystem funktioniert gut, innovative Technologien ermöglichen neue Geschäftsmodelle und hohe Gewinne." Das alles sei eine sehr angenehme Temperaturzone für die Finanzmärkte, daher auch die Rekordstände an den Aktienmärkten. Der wichtigste Teil dieses Bildes sei die Konjunkturkomponente: "Solange Europa, die USA und die asiatischen Volkswirtschaften weiter wachsen, können Unternehmen mit dem aktuellen, relativ hohen Zinsniveau leben."/la/ajx/men

--- Von Lutz Alexander, dpa-AFX ---