TEL AVIV/GAZA/KAIRO (dpa-AFX) - Israels Armee geht davon aus, dass die meisten der mehr als 200 in den Gazastreifen verschleppten Geiseln noch am Leben sind. Das teilte das Militär am Freitag mit, ohne Quellen für die Informationen zu nennen. Laut offiziellen israelischen Angaben hatten Terroristen auf Geheiß der im Gazastreifen herrschenden Hamas am 7. Oktober mindestens 203 Menschen in den Küstenstreifen verschleppt, darunter auch Deutsche, mehr als 20 Kinder und Jugendliche. Die Armee geht davon aus, dass von der Hamas auch Leichen verschleppt wurden.

Um mehr über den Verbleib der Geiseln zu erfahren, werden nach Angaben der israelischen Armee die festgenommenen islamistischen Terroristen verhört. "Wir sammeln viele Informationen", sagte Militärsprecher Richard Hecht.

Zwei Wochen nach Beginn des Gaza-Krieges will ein "Gipfel für den Frieden" in Ägypten den Weg für ein Ende der Gewalt bereiten. Israel bleibt dem Treffen an diesem Samstag in der ägyptischen Hauptstadt Kairo fern, an dem zahlreiche Staats- und Regierungschefs der Nahostregion sowie Vertreter der UN und auch Außenministerin Annalena Baerbock teilnehmen. Ein Sprecher des Außenministeriums in Israel sagte, man sei nicht eingeladen und werde auch nicht teilnehmen.

Israel traf weiter Vorbereitungen für eine Bodenoffensive in den Landstrich am Mittelmeer: Kampfflugzeuge griffen in der Nacht mehr als 100 Stellungen an und töteten dabei ein an den Terrorattacken beteiligtes Hamas-Mitglied, wie die Armee am Freitagmorgen mitteilte.

Humanitäre Hilfsgüter für mehr als zwei Millionen Menschen im Gazastreifen steckten weiter in Ägypten fest. Grund seien die Auflagen, die an die Öffnung des Grenzpostens und die Weiterleitung zu den Bedürftigen gestellt worden seien, sagte UN-Generalsekretär António Guterres vor dem Grenzübergang Rafah auf ägyptischer Seite.

Die islamistische Hamas war am 7. Oktober mit Hunderten Terroristen in israelische Grenzorte eingedrungen und hatte ein Massaker mit 1400 Todesopfern angerichtet. Seither bombardiert Israel Hamas-Stellungen im Gazastreifen, wo Hunderttausende Palästinenser in den Süden geflüchtet sind.

UN-Generalsekretär: Zwei Millionen Menschen leiden enorm

"Hinter diesen Mauern haben wir zwei Millionen Menschen, die enorm leiden", sagte Guterres. "Sie haben kein Wasser, keine Nahrungsmittel, keine Medikamente, keinen Treibstoff, sie werden beschossen. (...) Und auf dieser Seite stehen die Lastwagen (...) mit genau den Sachen, die auf der anderen Seite gebraucht werden."

Israel will keine Verantwortung für den Gazastreifen

Israel will sich nach der "Eliminierung der Hamas" aus der Verantwortung für das Leben in der Küstenenklave zurückziehen, wie Verteidigungsminister Joav Galant sagte. Wer die Geschicke im Gazastreifen dann übernehmen soll, sagte er nicht. Israel will der Hamas ihre militärischen und ihre Regierungsfähigkeit nehmen. Der Gaza-Krieg sei in drei Phasen unterteilt.

"Wir befinden uns jetzt in der ersten Phase - einer Militärkampagne, die derzeit Angriffe und später auch Manöver umfasst, mit dem Ziel, Terroristen zu neutralisieren und die Hamas-Infrastruktur zu zerstören", so Galant. In der zweiten Phase gebe es nur noch Kämpfe, um letzte Terrornester zu beseitigen. Die dritte Phase diene, eine "neue Sicherheitsrealität" zu schaffen. Er nannte keine Details.

Hamas-Ministerium: Zahl der Toten in Gaza steigt auf mehr als 4100

Die Zahl der getöteten Palästinenser im Gazastreifen seit Beginn des Krieges stieg nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza auf 4137 gestiegen. Es seien zudem 13 000 Menschen verletzt worden, hieß es am Freitag von der Behörde, die der islamistischen Hamas untersteht. Die Zahlen lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen.

Guterres, Abbas und Erdogan und andere bei "Gipfel für den Frieden"

Außenministerin Baerbock erhofft sich von dem Treffen ein Signal gegen eine Ausweitung des Gaza-Kriegs. Sie warnte den Iran und seine verbündeten schiitischen Milizen wie die Hisbollah, sich in den Gaza-Krieg einzuschalten. Baerbock traf in Tel Aviv auf ihrer erneuten Nahost-Reise auch den israelischen Außenminister Eli Cohen.

Neben Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi werden Guterres, Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas, Jordaniens König Abdullah II. sowie EU-Ratspräsident Charles Michel, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sowie Außenminister aus Großbritannien und Frankreich erwartet.

Israel benennt rote Linie für Gefechte mit der Hisbollah-Miliz

Israels Armee zeigte im Konflikt mit der libanesischen Hsibollah-Miliz ihre roten Linien auf. "Die Hisbollah weiß genau, wo die Grenze liegt. Wenn sie ihre Langstreckenraketen einsetzen oder etwas tun, das sehr, sehr aggressiv ist, wäre das eine Wende", sagte Militärsprecher Richard Hecht. Die Armee sei auf jedes Szenario vorbereitet.

Am Freitag griff Israels Armee eigenen Angaben zufolge in zwei Fällen Mitglieder der pro-iranischen Hisbollah in der Nähe des Grenzzauns an. Israel kündigte an, den nördlichen Grenzort Kiriat Schmona evakuieren zu wollen. Die Einwohner sollen in staatlich finanzierten Gästehäusern untergebracht werden.

Scholz: "Wer Juden angreift, greift uns alle an"

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sicherte Jüdinnen und Juden in Deutschland ein weiteres Mal die Solidarität der Gesellschaft zu. "Wir stehen an Eurer Seite", sagte Scholz dem "Spiegel". "Der Staat wird alles tun, um jüdisches Leben in Deutschland zu schützen. Wer Juden angreift, wer sie beleidigt oder verletzt, greift uns alle an." Mit Blick auf antisemitisch motivierte Ausschreitungen sagte Scholz, man müsse dem "entschieden entgegentreten"./rom/DP/ngu