TEL AVIV (dpa-AFX) - Zehn Tage nach dem Terrorangriff der Hamas hat Bundeskanzler Olaf Scholz Israel bei einem Besuch in Tel Aviv die volle Solidarität Deutschlands versichert. "Die Sicherheit Israels und seiner Bürgerinnen und Bürger ist deutsche Staatsräson", sagte der SPD-Politiker am Dienstag nach einem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Tel Aviv. "Die deutsche Geschichte, unsere aus dem Holocaust erwachsene Verantwortung, macht das zu unserer Aufgabe, für die Existenz und die Sicherheit des Staates Israel einzustehen."

Netanjahu vergleicht Hamas-Gräueltaten mit Nazi-Massaker

Auch Netanjahu erinnerte mit harschen Worten an den Holocaust. Die Gräueltaten der Hamas seien die schlimmsten Verbrechen an Juden seit dem Völkermord der Nazis. Er verglich sie mit dem Massaker in der Schlucht von Babyn Jar bei Kiew, wo 1941 etwa 33 000 Juden innerhalb kürzester Zeit hingerichtet und verscharrt wurden.

"Dies ist eine Grausamkeit, die wir nur von den Nazi-Verbrechen während des Holocaust erinnern", sagte Netanjahu zu den Hamas-Verbrechen. "Die Hamas sind die neuen Nazis." Er verglich die Organisation auch mit dem Terrornetzwerk Islamischer Staat (IS). Die Welt müsse Israel dabei helfen, die Hamas zu zerstören, forderte Netanjahu. Er dankte Scholz für seinen Besuch in Israel und seine Solidarität.

Treffen im Verteidigungsministerium und Raketenalarm

Scholz und Netanjahu trafen sich nicht wie sonst üblich im Büro des Ministerpräsidenten sondern im Verteidigungsministerium. In der Eingangshalle standen Dutzende Rekruten an, um sich zum Kriegsdienst zu melden. Dass Netanjahu nach dem Gespräch überhaupt mit Scholz vor die Presse trat, war eine Seltenheit. Seit den Terrorattacken hat er das nicht mehr gemacht. Fragen der Journalisten wurden aber nicht zugelassen.

Während der Pk wurde der Großraum Tel Aviv zweimal mit Raketen beschossen. Im Stadtzentrum selbst waren keine Warnsirenen zu hören, aber zwei laute Explosionen. Als die Kolonne des Kanzlers das Verteidigungsministerium verlässt, sind Abschüsse von Abwehrraketen des Schutzschirms "Iron Dome" zu hören.

Weiterreise nach Ägypten

Auf dem Besuchsprogramm des Kanzlers standen Gespräche mit Präsident Izchak Herzog und Angehörigen deutscher Geiseln der Hamas, die in den Gaza-Streifen verschleppt wurden. Anschließend wollte Scholz noch am Abend nach Ägypten weiterreisen, das als einziges Nachbarland Israels direkt an den Gaza-Streifen grenzt. Dort will er mit Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi zusammenkommen.

Neben der Unterstützung Israels im Kampf gegen die Hamas geht es Scholz bei seiner zweitägigen Nahost-Reise vor allem darum, der Gefahr eines Flächenbrands in der Region entgegenzuwirken. "Gemeinsam mit unseren Verbündeten setzen wir uns als Bundesregierung mit aller Kraft dafür ein, dass dieser Konflikt nicht weit eskaliert", sagte er schon vor seinem Abflug. Die libanesische Hisbollah und den Iran warnte er eindringlich davor, in den Konflikt einzugreifen.

Herzog: "Eine große Botschaft der Hoffnung"

Israels Präsident Herzog nannte den Besuch des Kanzlers gegenüber der Deutschen Presse-Agentur "eine große Botschaft der Hoffnung" und einen "enormen Ausdruck an Solidarität". Scholz sei ein großer Freund Israels. Generell sei die Unterstützung der gesamten deutschen Führung "unglaublich".

Dass Scholz nun nach Israel reist, kommt nicht von ungefähr. Deutschland hat wegen der Ermordung von sechs Millionen Juden im Holocaust eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sie 2008 zur Staatsräson erklärt. Scholz hat sich das zu eigen gemacht. Jetzt gilt es zu zeigen, was Staatsräson bei einem konkreten Angriff bedeutet. Und da will sich Scholz auch nicht wieder Zögerlichkeit vorwerfen lassen wie nach dem russischen Angriff auf die Ukraine.

Damals dauerte es fast vier Monate, bis er sich mit dem Zug nach Kiew aufmachte. Zu diesem Zeitpunkt waren schon etliche Staats- und Regierungschefs und selbst Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) dort. Jetzt gehört er zu den ersten.

Deutsche Rückendeckung für Militärschläge gegen die Hamas

Israel erwartet von Scholz vor allem Rückendeckung für Militärschläge gegen die Hamas. Die hat Scholz in den letzten Tagen auch immer wieder mit klaren Worten erneuert - und zwar ohne Einschränkungen oder Verweise auf das Völkerrecht. "Der Überfall der Hamas war ein terroristischer Akt, der unverantwortlich war, der furchtbare Konsequenzen hat, der unglaublich viele Menschen getötet hat und unglaublich viele erniedrigt. Und deshalb hat Israel jedes Recht, sich selbst zu verteidigen", sagte er am Abend vor seinem Abflug.

Militärische Unterstützung erwarten die Israelis von Deutschland dagegen bisher kaum. Zwei geleaste israelische Drohnen, die auch bewaffnet werden können, wurden von der Bundeswehr zurückgegeben. Einen Antrag auf Lieferung von Munition für Kriegsschiffe hat Israel nach Angaben der Bundesregierung inzwischen wieder zurückgestellt.

Scholz will sich für humanitären Zugang zum Gaza-Streifen einsetzen

Konkret geht es nun vor allem um humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen, die von Israel vor einer möglichen Bodenoffensive zu Hunderttausenden zur Flucht aufgefordert wurden. Scholz betonte am Dienstag, dass Deutschland weiter solche Hilfe für die notleidenden Menschen in Gaza leisten werde. Und er sagte: "Wir setzen uns dafür ein, dass es einen humanitären Zugang zum Gaza-Streifen gibt." Das soll auch ein Schwerpunkt sein, wenn US-Präsident Joe Biden am Mittwoch nach Israel kommt.

Nicht zuletzt geht es Scholz bei seiner Nahost-Mission um die Freilassung der rund 200 in den Gaza-Streifen verschleppten Geiseln der Hamas - darunter sind mehrere Deutsche, zu denen die Bundesregierung keinen Kontakt hat. Scholz hat dazu schon in den letzten Tagen Gespräche mit den Staatschefs von Katar, Ägypten und der Türkei geführt - alles Länder, von denen sich der Kanzler Einfluss auf die Hamas verspricht.

Besuchsprogramm beschränkt sich auf Tel Aviv

Für Scholz ist es der zweite Besuch in Israel nach seinem Antrittsbesuch. Damals besuchte er auch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Durch die Attacke der Hamas fühlen sich Israelis an den Völkermord von damals erinnert. Seitdem seien nicht mehr so viele Juden und Jüdinnen an einem Tag getötet worden, sagte Herzog der dpa. "Die Bilder, die wir gesehen haben, erinnerten uns an die schrecklichen Tage in der Vergangenheit."

Jerusalem stand diesmal nicht auf dem Programm des Kanzlers. Der Besuch, für den nur sechs Stunden vorgesehen waren, beschränkte sich auf Tel Aviv. Die Metropole am Mittelmeer gilt als verhältnismäßig sicher. Seit der Attacke der Hamas schlugen hier nur wenige Raketen ein, es gab keine Toten oder Verletzten.

Es kommt jedoch auch hier täglich mehrmals zu Raketenalarm. Auch während des Besuchs von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heulten die Sirenen. Beide mussten sich in einen Schutzraum begeben./mfi/DP/jha