Energieverbände und Versorger machen Front gegen Pläne der Bundesregierung, zur Mitfinanzierung der Strompreisbremse «Zufallsgewinne» auf dem Strommarkt abzuschöpfen. Der Gesetzentwurf verstoße gegen EU-Recht und verletze die Eigentumsgarantie, teilte der Hamburger Energieversorger Lichtblick am Donnerstag unter Verweis auf ein in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten mit.

«Der geplante Abschöpfungsmechanismus führt zu tiefgreifenden Verzerrungen auf dem deutschen Strommarkt.» Folge dieser Entwicklungen seien steigende Strompreise für Verbraucher, eine Behinderung des weiteren Ausbaus von Erneuerbare-Energien-Anlagen sowie im Einzelfall die Zahlungsunfähigkeit der Anlagenbetreiber. Zuerst hatte die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» darüber berichtet.

Scharfe Kritik am Gesetzentwurf, der derzeit innerhalb der Bundesregierung noch in der Ressortabstimmung ist, kam auch vom Bundesverband Erneuerbare Energien. Die Präsidentin Simone Peter erklärte am Donnerstag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur: «Es bestehen erhebliche verfassungsrechtliche und europarechtliche Bedenken. Rückwirkende Eingriffe in wirtschaftliche Prozesse wurden bereits mehrfach grundsätzlich als klar verfassungswidrig beschieden.» Der Verband hatte bereits erklärt, es sei mit einer Klagewelle zu rechnen. Die Bundesregierung sollte alleine aus juristischen Gründen eine einfache steuerliche Lösung wählen.

«Zufallsgewinne» sollen abgeschöpft werden

Ein Gesetzentwurf des Kanzleramts, des Finanz- sowie Wirtschaftsministeriums sieht vor, dass zur Mitfinanzierung der Strompreisbremse befristet bis mindestens Ende Juni kommenden Jahres «Zufallsgewinne» von Unternehmen auf dem Strommarkt rückwirkend ab 1. September abgeschöpft werden. Das betrifft etwa Produzenten von Ökostrom aus Wind und Sonne, die zuletzt von hohen Preisen an der Börse profitiert haben. Hintergrund sind stark gestiegene Gaspreise und der Mechanismus zur Preisbildung auf dem Strommarkt. Der größte Teil der Strompreisbremse soll vom Staat bezahlt werden.

Viele Stromerzeuger erzielten gegenwärtig erhebliche Mehreinnahmen, die zum ganz überwiegenden Teil unerwartet gewesen seien, heißt es im Gesetzentwurf. Die Rede ist von «Überschusserlösen». Diese sollen grundsätzlich anhand der Preise am Spotmarkt beziehungsweise von energieträgerspezifischen Monatsmarktwerten für Windenergie- und Solaranlagen berechnet werden. Darüber hinaus könnten die Ergebnisse aus Absicherungsgeschäften am Terminmarkt sowie eine anlagenbezogene Vermarktung berücksichtigt werden - insbesondere sogenannte Power-Purchase-Agreements.

Das sind spezielle, oft langfristige Stromabnahmeverträge. Vorgesehen ist nun laut Lichtblick, diese Verträge in vielen Fällen nicht nach den zwischen Betreiber und Käufer vereinbarten fixen Preisen, sondern nach dem Spotmarkt abzuschöpfen - obwohl der Anlagenbetreiber seinen Strom nicht am Spotmarkt verkauft. Die Spotmarktpreise liegen häufig deutlich höher als die vereinbarten Preise. Das Gutachten spricht von «fiktiven Erlösen», welche die Regierung abschöpfen wolle - die die Unternehmen aber tatsächlich nie erwirtschaftet hätten. Das solle für Verträge gelten, die ab November abgeschlossen werden. Dies sei aber nach EU-Vorgaben unzulässig. Diese ließen nur die Abschöpfung realisierter Erlöse zu.

Droht eine Klagewelle?

Lichtblick rechnet mit einer Klagewelle. Chefjurist Markus Adam sprach laut Mitteilung von einer «verfassungswidrigen Sonderabgabe». Ein Ausweg wäre eine «echte Übergewinnsteuer» für erneuerbare Energien. Der Staat sollte die tatsächlichen, durch die Krise gestiegenen Gewinne der Anlagenbetreiber zusätzlich besteuern.

Kritik am Gesetzentwurf kam unter anderem auch vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Angesichts stark gestiegener «Zufallsgewinne» bekenne sich die Energiewirtschaft zu ihrer Verantwortung, hatte BDEW-Präsidentin Marie-Luise Wolff erklärt: «Die Energiebranche ist bereit, ihren Beitrag zu leisten.» Die Erlösabschöpfung sei ein erheblicher Markteingriff und müsse mit dem eindeutigen Enddatum 30. Juni 2023 so kurz wie möglich gehalten werden. Der BDEW kritisierte außerdem, vorgesehene Regelungen zur Entlastung der Haushalte müssten stark vereinfacht werden.

Die Strompreisbremse soll Haushalte und Unternehmen mit sehr hohen Strompreisen entlasten. Haushalte und kleinere Unternehmen erhalten 80 Prozent ihres bisherigen Stromverbrauchs zu einem garantierten Bruttopreis von 40 Cent pro Kilowattstunde. Unternehmen mit einem hohen Stromverbrauch sollen 70 Prozent ihres bisherigen Stromverbrauchs zu einem garantierten Netto-Arbeitspreis von 13 Cent pro Kilowattstunden bekommen. Die Bremse soll ab März gelten, dann es soll auch eine Auszahlung der Entlastungsbeträge für Januar und Februar geben.

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