Es dauert wohl noch, bis die Leitzinsen wieder sinken. Was im Allgemeinen als Bad News für die Börse gilt, kann aber auch Chancen bieten.

Endlich etwas aufatmen an der Börse: Die Leitzinserhöhungen scheinen sich zumindest zu verlangsamen. Dennoch ging es zum Monatsanfang weiter aufwärts. Am 3. Mai erhöhte erst die Federal Reserve (Fed) ihren Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 5,25 Prozent – ihre zehnte Erhöhung in Folge. Einen Tag später zog auch die Europäische Zentralbank (EZB) nach und erhöhte das siebte Mal in Folge den Leitzins, diesmal um 0,25 Prozentpunkte auf 3,75 Prozent.

Es ist unklar, ob und falls ja, wie lange der harte Kurs der Zentralbanken anhalten wird. In den USA deutet sich bereits eine Zinspause an: Fed-Chef Jerome Powell ließ offen, wie es mit dem geldpolitischen Kurs weitergehen wird. Die Entscheidungen würden von Zinssitzung zu Zinssitzung getroffen, ausschlaggebend sei der Ausblick für Wirtschaft und Inflation, sagte er im Anschluss an die Sitzung. Bei der EZB ist derweil eine weitere Erhöhung wahrscheinlich: "Konkret gehen wir davon aus, dass die EZB die Zinsen auf den kommenden beiden Sitzungen noch einmal um jeweils 0,25 Prozentpunkte erhöht", sagte etwa Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer gegenüber der Tagesschau. Eine Zinssenkung erwartet er im kommenden Jahr noch nicht.

Was heißt das für Investoren? In Zeiten hoher Zinsen performen besonders Value-Titel gut, sie haben nicht so hohen Finanzierungsbedarf wie Growth-Unternehmen, die ihr Wachstum meist über Kredite finanzieren müssen und die Zinsschritte deshalb in Form von teurerer Anschlussfinanzierung zu spüren bekommen. Eine niedrige Fremdkapitalquote ist gefragter denn je.


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Es gibt auch bestimmte Branchen, die in Hochzinszeiten besonders gut abschneiden, wie eine Erhebung der US-Bank JP Morgan zeigt. Darin hat Analyst Tilmann Galler untersucht, wie sich bestimmte Sektoren des Aktienmarktes historisch zu den Anleiherenditen zehnjähriger US-Staatsanleihen verhalten. Auch wenn die Veröffentlichung schon rund ein halbes Jahr zurückliegt, lohnt der Blick auf die Ergebnisse. Denn demnach korrelieren die Sektoren Energie, Finanzen und Industrie positiv mit der Rendite von US-Staatsanleihen – Titel dieser Branchen entwickelten sich also in der Vergangenheit gut, wenn die Zinsen stiegen. Eine negative Korrelation zeigte sich im Gegenzug bei Kommunikationsdiensten, IT- und Immobilien-Werten.

Die Erhebung ist allerdings mit Vorsicht zu genießen: Eine Korrelation bedeutet nicht zwangsläufig auch eine Kausalität. Es kann auch Zufall gewesen sein, dass Energie-, Finanz- und Industrie-Aktien sich in der Vergangenheit ähnlich entwickelt haben wie Staatsanleihen. Außerdem trifft die Korrelation sicher nicht auf jedes Unternehmen der Branche zu. Dennoch haben diese drei Titel die Prognose zumindest in diesem Zinszyklus erfüllt.

Energie: Trendwende bei Siemens Energy

Energieunternehmen hatten mit einem Wert von 0,6 die stärkste Korrelation mit den Staatsanleihen. "Steigende Renditen gehen in der Regel mit einer höheren gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und damit einer höheren Inflation einher", erklärt Analyst Galler. "Ein zentraler Treiber sind dabei die Energiepreise, weil in Phasen einer starken Konjunktur Energieunternehmen eine große Preissetzungsmacht haben."

Das Münchener Unternehmen Siemens Energy ist eine Ausgründung des Mutterkonzern Siemens aus dem Jahr 2020. Es umfasst die ehemalige Energietechnik-Sparte des Mischkonzerns, produziert und verteilt also Energie, von der ein Großteil aus erneuerbaren Energiequellen kommt. Siemens Energy ist in vier Geschäftsbereiche aufgeteilt: Gas-Services, Grid-Technologien, Industrietransformation und Windenergie unter dem Namen Gamesa, wobei Grid-Technologien den größten Umsatzanteil ausmachen.

Das zweite Quartal 2023 – das von Januar bis März 2023 ging – lief allerdings ernüchternd: Der Umsatz stieg zwar im Vergleich zum Vorjahresquartal um 24 Prozent auf 8,0 Milliarden Euro. Gleichzeitig erwirtschaftete das Unternehmen 189 Millionen Euro Nettoverlust. Im Vorjahresquartal waren es sogar 256 Millionen Euro Verlust gewesen. Grund dafür war vor allem die schlechte Performance der Windenergie-Sparte Gamesa. "Die Trendwende im Windgeschäft bleibt der Eckpfeiler, um ein profitabler Marktführer der Energiewende zu werden", kommentierte Geschäftsführer Christian Bruch die Ergebnisse. Derweil bestätige das Auftragswachstum, "unsere sehr gute Positionierung in den Märkten für Energiewandlungstechnologien". Die Aufträge stiegen im zweiten Quartal um 56 Prozent auf einen Wert von 12,3 Milliarden Euro.

Trotz der schlechten Ergebnisse entwickelte sich die Siemens-Energy-Aktie zuletzt positiv. Aktuell notiert die Aktie bei 23,09 Euro. Analysten sehen noch Luft nach oben: Die DZ Bank etwa hob erst kürzlich ihr Kursziel auf 27 Euro an, mit der Empfehlung 'Kaufen'. "Im Zuge des US Inflation Reduction Acts könnte Siemens Energy seine bereits starke US-Positionierung durch hohe Beteiligung an Förder-Projekten weiter erhöhen", begründete Analyst Alexander Hauenstein. Auch JP Morgan sieht die Aktie als 'Overweight' bei einem Ziel von 25 Euro.

Finanzen: Dividendenzahler Axa

Auch Finanzunternehmen profitieren in der Regel von höheren Leitzinsen: Banken erhalten höhere Zinsen auf ausgegebene Kredite und Versicherer und Börsenbetreiber bekommen höhere Zinserträge auf ihre Anlagen. Dass die Rechnung nicht immer aufgeht, weil bestehende Anleihen bei höheren Zinsen an Wert verlieren, zeigte das jüngste Beben am Bankenmarkt.

Bei der französischen Axa Gruppe scheint es weitgehend gut verlaufen zu sein. Ihr Geschäftsschwerpunkt liegt auf Vorsorge und Versicherung, das größte Geschäftsfeld sind Schaden- und Unfallversicherungen (38,1 Prozent) sowie private Krankenversicherungen (31,3 Prozent). Im Jahr 2022 erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von 102,3 Milliarden Euro – ein eher mageres Plus von 2,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das Nettoergebnis ist in der gleichen Zeit sogar leicht gefallen, nämlich um acht Prozent auf 6,7 Milliarden Euro.

Dennoch erhöhte Axa die Dividende um 10 Prozent auf 1,70 Euro pro Aktie, sodass sich beim aktuellen Kurs von 27,21 Euro eine Dividendenrendite von rund sechs Prozent ergibt. Die Dividende wurde Anfang Mai ausgezahlt, danach sackte der Kurs um einige Prozentpunkte ab, weshalb die Performance seit Jahresanfang mit 4,43 Prozent eher bescheiden ist. Im Vergleich zu Mai 2022 steht der Titel aber rund 20 Prozent im Plus. Analysten sehen dennoch weiter Luft nach oben: Barclays stuft die Aktie als 'Overweight' ein mit einem Kursziel von 32,50 Euro, JP Morgan sieht den Titel sogar bei 35 Euro.

Industrie: Value bei der Deutschen Post

Die Korrelation der Industriebranche geht vor allem auf die vielen Value-Titel zurück. Einer davon ist die Deutsche Post. Das Transport- und Logistikunternehmen ist nach eigenen Angaben Europas führender Post- und Paketdienstleister und beschäftigt 600.000 Mitarbeiter in über 220 Ländern weltweit. Das Unternehmen profitiert vom zunehmenden Online-Handel. Aktuell versucht es, das Geschäftsmodell weniger klimaschädlich zu machen, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu sichern. Das erste Quartal 2023 lief im Vergleich zum Vorjahr aber etwas schlechter: Der Konzernumsatz ist um 7,4 Prozent auf 22,6 Milliarden Euro gesunken, während das EBIT sogar 24 Prozent Minus verbuchte und bei 2,2 Milliarden Euro steht.

Bei dem Logistikkonzern sei der Jahresstart weitgehend planmäßig verlaufen, bewertet Analyst Dirk Schlamp von der DZ Bank die Ergebnisse. Das erste Quartal sei geprägt gewesen von einem verhaltenen Konsumklima und einer Normalisierung der Frachtmärkte. Seit März aber zeigten sich in verschiedenen Bereichen Stabilisierungstendenzen, die sich in den kommenden Quartalen weiter verfestigen sollten. Er hebt das Kursziel auf 49 Euro und empfiehlt den Titel zum Kauf. Das US-Analysehaus Bernstein Research stuft die Aktie derweil als 'Market Perform' ein mit einem Ziel von 43,50 Euro. In einer konjunkturellen Abkühlung könne es für die Deutsche Post allerdings schwierig werden, warnte Analyst Alexander Irving.

Aktuell notiert der Titel bei 41,29 Euro. Seit Monatsanfang hat er fast 5 Prozent verloren, weil zum 9. Mai die Dividende in Höhe von 1,85 Euro je Aktie ausgezahlt wurde. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (2023e) liegt damit aktuell bei 13.

Unterbewertete europäische Werte

Wer sich nicht auf einzelne Branchen oder Titel festlegen möchte, kann alternativ in einen europäischen Value-ETF investieren. Einer davon ist der iShares Edge MSCI Europe Value Factor. Er investiert gezielt in europäische Unternehmen, die im Verhältnis zu ihren Fundamentaldaten unterbewertete Aktien erfassen. Aktuell sind 148 Positionen im Fonds enthalten.

(sesch) für die wallstreet:online Zentralredaktion


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Quelle: Wallstreet Online