Dynamisches KGV Börsenlexikon Vorheriger Begriff: Dynamische Absicherung Nächster Begriff: Effekten
Eine Kennzahl, die den aktuellen Aktienkurs eines Unternehmens durch den erwarteten Gewinn pro Aktie in einem zukünftigen Zeitraum teilt, um die Bewertung zu analysieren
Das dynamische Kurs-Gewinn-Verhältnis \(KGV\) ist eine Weiterentwicklung des klassischen, statischen KGV, das als eine der am häufigsten genutzten Kennzahlen zur Aktienbewertung dient. Während das einfache KGV das aktuelle Kursniveau einer Aktie in Relation zum bereits erzielten Jahresgewinn je Aktie setzt, berücksichtigt das dynamische KGV die erwarteten zukünftigen Gewinne. Es stellt somit eine zukunftsorientierte Bewertungskennzahl dar, die versucht, die Unternehmensentwicklung in die Bewertung einzubeziehen und nicht nur vergangenheitsbezogene Daten zu verwenden.
Definition und Abgrenzung zum klassischen KGV
Das KGV allgemein wird definiert als das Verhältnis zwischen dem aktuellen Aktienkurs \(P\) und dem Gewinn je Aktie (Earnings per Share, \(EPS\)):
\[ KGV = \frac{P}{EPS} \]
Das dynamische KGV ersetzt dabei den Gewinn je Aktie der Vergangenheit durch die Gewinnprognose des kommenden Geschäftsjahres oder mehrerer Jahre. Formal ergibt sich die Kennzahl zu:
\[ dynamisches , KGV = \frac{P}{EPS_{t+1}} \]
wobei \(EPS_{t+1}\) den erwarteten Gewinn je Aktie im nächsten Geschäftsjahr bezeichnet. Teilweise werden auch mehrjährige Gewinnprognosen herangezogen und gemittelt, um kurzfristige Schwankungen auszugleichen.
Damit unterscheidet sich das dynamische KGV vom klassischen KGV, das ausschließlich vergangenheitsbezogen ist und damit keine unmittelbaren Aussagen über zukünftige Ertragschancen eines Unternehmens erlaubt.
Zielsetzung und Nutzen
Das dynamische KGV soll Investoren eine Möglichkeit geben, die Bewertung einer Aktie auf Grundlage realistischer Gewinnerwartungen vorzunehmen. Der Hintergrund ist, dass Aktienkurse in der Regel nicht nur auf bereits erzielte Gewinne reagieren, sondern auf die Erwartungen künftiger Erträge. Besonders bei Wachstumsunternehmen, die sich noch in einer Expansionsphase befinden und deren Gewinne stark ansteigen, würde das statische KGV zu einer verzerrten Sichtweise führen, da die aktuellen Gewinne niedrig sind, die zukünftigen jedoch deutlich höher liegen könnten.
Durch die Einbeziehung prognostizierter Gewinne kann das dynamische KGV eine realistischere Indikation für die Relation zwischen Kursniveau und Ertragskraft bieten. Es wird häufig von Analysten, institutionellen Investoren und Fondsmanagern verwendet, um Bewertungsvergleiche zwischen Unternehmen derselben Branche vorzunehmen.
Methodische Aspekte der Berechnung
Die Berechnung des dynamischen KGV hängt entscheidend von den Gewinnprognosen ab. Diese können aus unterschiedlichen Quellen stammen:
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Unternehmensprognosen: Offizielle Gewinnschätzungen des Unternehmens selbst.
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Analystenschätzungen: Von Finanzanalysten erstellte Konsensprognosen, die häufig in Finanzdatenbanken zusammengeführt werden.
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Modelle auf Basis makroökonomischer Entwicklungen oder branchenspezifischer Trends.
Da Gewinnprognosen immer mit Unsicherheit behaftet sind, kann sich die Aussagekraft des dynamischen KGV je nach Qualität der Schätzungen erheblich unterscheiden.
Vergleich zwischen statischem und dynamischem KGV
Zur Verdeutlichung ein einfaches Beispiel:
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Aktueller Kurs einer Aktie: 50 €
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Gewinn je Aktie im letzten Jahr: 2 €
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Erwarteter Gewinn je Aktie im kommenden Jahr: 5 €
Das statische KGV ergibt sich zu:
\[ KGV = \frac{50}{2} = 25 \]
Das dynamische KGV hingegen:
\[ dynamisches , KGV = \frac{50}{5} = 10 \]
In diesem Fall vermittelt das dynamische KGV ein deutlich günstigeres Bewertungsniveau, da es die zu erwartende Ertragssteigerung berücksichtigt.
Erweitertes Rechenbeispiel mit mehrjähriger Prognose
Oft werden nicht nur die Erwartungen für das nächste Jahr betrachtet, sondern auch mehrjährige Gewinnprognosen.
Gegeben sei ein Aktienkurs von 80 €. Analysten erwarten folgende Gewinne je Aktie:
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Jahr 1: 4 €
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Jahr 2: 6 €
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Jahr 3: 8 €
Berechnung der dynamischen KGV-Werte:
\[ KGV_{t+1} = \frac{80}{4} = 20 \]
\[ KGV_{t+2} = \frac{80}{6} \approx 13{,}3 \]
\[ KGV_{t+3} = \frac{80}{8} = 10 \]
Um Schwankungen zu glätten, kann auch ein Durchschnittswert der prognostizierten Gewinne gebildet werden:
\[ \overline{EPS} = \frac{4+6+8}{3} = 6 \]
\[ dynamisches , KGV_{Ø} = \frac{80}{6} \approx 13{,}3 \]
Dieses Beispiel zeigt, dass das dynamische KGV die zukünftige Verbesserung der Ertragslage sukzessive berücksichtigt und die Aktie im Zeitverlauf günstiger erscheinen lässt.
Vorteile und Nachteile im Überblick
Die folgende Tabelle fasst zentrale Stärken und Schwächen des dynamischen KGV zusammen:
| Aspekt | Vorteile | Nachteile |
|---|---|---|
| Zeitbezug | Zukunftsorientiert, berücksichtigt erwartete Gewinne | Prognosen unsicher und revisionsanfällig |
| Eignung für Unternehmensarten | Besonders sinnvoll bei Wachstumsunternehmen | Wenig Mehrwert bei stabilen, reifen Unternehmen |
| Vergleichbarkeit | Ermöglicht brancheninterne Bewertungen auf Basis der erwarteten Ertragskraft | Starke Abhängigkeit von Konsensschätzungen und Marktstimmung |
| Praktischer Nutzen | Liefert Investoren einen realistischeren Eindruck über das Bewertungsniveau | Manipulationsgefahr durch zu optimistische Prognosen |
Anwendung in der Praxis
In der Praxis wird das dynamische KGV oft in Verbindung mit anderen Kennzahlen betrachtet. Es allein liefert selten eine abschließende Bewertung. Typische Ergänzungen sind:
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PEG-Ratio (Price-Earnings-to-Growth): Verhältnis aus KGV und erwarteter Gewinnwachstumsrate.
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Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV): Besonders für Unternehmen mit schwankenden Gewinnen.
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Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV): Ergänzende Betrachtung der bilanziellen Substanz.
Analysten und Investoren vergleichen dabei nicht nur den absoluten Wert des dynamischen KGV, sondern auch dessen Entwicklung über die Zeit sowie relative Werte im Branchenvergleich. Ein dynamisches KGV von 15 kann für ein stark wachsendes Technologieunternehmen günstig sein, während derselbe Wert für ein etabliertes Versorgungsunternehmen hoch erscheinen könnte.
Grenzen der Aussagekraft
Das dynamische KGV ist kein Instrument, das die Zukunft eines Unternehmens exakt vorhersehen kann. Es bildet vielmehr eine Erwartungshaltung ab, die sowohl von den zugrunde liegenden Annahmen als auch von der Marktstimmung geprägt ist. Externe Faktoren wie Konjunkturschwankungen, geopolitische Ereignisse oder unerwartete Unternehmensentwicklungen können die Gewinnschätzungen schnell überholen.
Daher ist die Kennzahl nur im Kontext einer umfassenden Fundamentalanalyse sinnvoll. Investoren sollten sie mit qualitativen Faktoren wie Unternehmensstrategie, Wettbewerbsposition und Managementqualität kombinieren.
Fazit
Das dynamische KGV ist eine wichtige Kennzahl in der modernen Aktienbewertung, da es die erwarteten zukünftigen Gewinne eines Unternehmens in die Relation zum aktuellen Aktienkurs setzt. Im Gegensatz zum statischen KGV liefert es ein stärker zukunftsorientiertes Bild und ist insbesondere bei Wachstumsunternehmen von großer Bedeutung. Allerdings hängt seine Aussagekraft entscheidend von der Qualität der Gewinnprognosen ab, die naturgemäß mit Unsicherheiten behaftet sind. Als isolierte Kennzahl ist es daher nicht ausreichend, sondern sollte stets im Zusammenspiel mit weiteren Bewertungsmaßstäben und qualitativen Analysen betrachtet werden. So kann das dynamische KGV als nützlicher Bestandteil einer fundierten Investmententscheidung dienen, ohne jedoch allein ausschlaggebend zu sein.