Islamic Finance Börsenlexikon Vorheriger Begriff: Astana International Exchange (AIX) Nächster Begriff: Islamic Banking

Ein dynamisch wachsender Teil des globalen Finanzsystems, der ethische, religionsbasierte Prinzipien mit modernen Finanzinstrumenten verbindet

Islamic Finance, auch als islamisches Finanzwesen oder scharia-konformes Finanzsystem bezeichnet, ist ein Teilbereich der globalen Finanzwirtschaft, der sich nach den Prinzipien des islamischen Rechts (Scharia) richtet. Dieses System unterscheidet sich in mehreren grundlegenden Aspekten vom konventionellen Finanzwesen und hat sich in den letzten Jahrzehnten als wachstumsstarker Sektor etabliert – sowohl in mehrheitlich muslimischen Ländern als auch zunehmend in internationalen Finanzzentren wie London, Dubai oder Kuala Lumpur.

Grundlagen und religiöser Rahmen

Islamic Finance basiert auf den ethischen und rechtlichen Grundsätzen des Islam. Diese sind im Koran, in den Hadithen (Überlieferungen des Propheten Mohammed), im Fiqh (islamische Rechtswissenschaft) und durch die Interpretation von Gelehrten begründet. Zentrale Prinzipien, die das islamische Finanzsystem definieren, sind:

  • Verbot von Riba: Der Erhalt oder die Zahlung von Zinsen ist streng untersagt, da Riba als ausbeuterisch und ungerecht gilt.

  • Verbot von Gharar: Übermäßige Unsicherheit oder Spekulation in Verträgen ist nicht zulässig.

  • Verbot von Maysir: Glücksspiel oder waghalsige Spekulation sind verboten.

  • Verbot von Haram-Geschäften: Investitionen in Sektoren wie Alkohol, Schweinefleisch, Waffen oder konventionelle Finanzdienstleistungen (z. B. Zinsgeschäfte) sind nicht erlaubt.

  • Gebot der Gewinn- und Verlustbeteiligung: Verträge sollen auf realwirtschaftlicher Beteiligung beruhen, bei der Risiko und Ertrag geteilt werden.

  • Materielle Unterlegung: Finanztransaktionen müssen auf realen Vermögenswerten beruhen und dürfen nicht rein finanzieller Natur sein.

Diese Regeln sollen ein ethisch verantwortungsvolles, gerechtes und gemeinschaftsorientiertes Finanzsystem fördern, das der Realwirtschaft dient und nicht der bloßen Geldvermehrung.

Grundlegende Vertragsformen und Instrumente

Im Islamic Finance existieren verschiedene Vertragsmodelle, die anstelle von zinsbasierten Transaktionen eingesetzt werden. Zu den wichtigsten zählen:

1. Murabaha (Kosten-Plus-Verkauf)

Ein Verkäufer erwirbt einen Vermögenswert (z. B. Auto, Immobilie) und verkauft ihn dem Kunden zu einem höheren, vorher vereinbarten Preis weiter. Der Aufschlag ersetzt das Zinsertragsmodell und ist Bestandteil des Kaufvertrags. Die Zahlung erfolgt in Raten oder als Einmalzahlung.

\[ \text{Verkaufspreis} = \text{Einkaufspreis} + \text{Marge} \]

2. Ijara (Leasing-Vertrag)

Hierbei handelt es sich um ein Leasingmodell, bei dem der Leasinggeber ein Gut erwirbt und es gegen regelmäßige Zahlungen vermietet. Am Ende der Laufzeit kann eine Kaufoption vereinbart werden.

3. Mudaraba (Gewinnbeteiligungskapital)

Ein Kapitalgeber stellt einem Unternehmer Mittel zur Verfügung. Der Gewinn wird nach vorher vereinbarter Quote aufgeteilt, der Verlust wird allein vom Kapitalgeber getragen, solange keine Fahrlässigkeit vorliegt.

4. Musharaka (Gemeinschaftliches Beteiligungsmodell)

Zwei oder mehr Parteien bringen Kapital ein und führen gemeinsam ein Geschäft. Gewinne und Verluste werden anteilig geteilt.

\[ \text{Gewinnverteilung} \propto \text{Kapitaleinsatz} \]

5. Istisna (Herstellungsvertrag)

Ein Käufer gibt einen Auftrag zur Herstellung eines Vermögenswerts (z. B. Immobilie, Infrastrukturprojekt), wobei Preis und Lieferzeit im Voraus vereinbart werden.

6. Sukuk (Islamische Anleihen)

Sukuk sind zinsfreie Wertpapiere, die auf realen Vermögenswerten basieren und periodische Erträge aus diesen abbilden. Anleger erwerben Anteile an einem Asset und erhalten Erträge aus dessen Nutzung.

Im Gegensatz zu klassischen Anleihen mit fixem Zinssatz sind Sukuk strukturiert als Mieteinnahmen, Leasingerträge oder Gewinnbeteiligungen.

Islamic Banking

Islamic Banking bezeichnet Banken, die nach den Regeln des islamischen Finanzwesens operieren. Diese Institute bieten Produkte wie:

  • Scharia-konforme Giro- und Sparkonten (zinsfrei)

  • Kreditfinanzierung über Murabaha oder Ijara

  • Investitionen über Mudaraba- oder Musharaka-Strukturen

  • Islamic Investmentfonds und Vermögensverwaltung

Ein zentrales Gremium innerhalb islamischer Banken ist der Shariah Board, ein Ausschuss islamischer Gelehrter, der alle Produkte und Geschäftsaktivitäten auf ihre Konformität mit der Scharia überprüft.

Takaful – Islamische Versicherung

Takaful ist das islamische Gegenstück zu konventionellen Versicherungen. Es basiert auf einem kooperativen Modell, bei dem alle Teilnehmer Beiträge in einen gemeinsamen Pool einzahlen. Entschädigungen werden aus diesem Fonds im Schadensfall ausgezahlt. Der Versicherer erhält eine Managementgebühr, darf aber keine Gewinne aus den Beiträgen erzielen.

Takaful-Verträge dürfen keine spekulativen Elemente enthalten und müssen Transparenz sowie gegenseitige Hilfe fördern.

Islamic Capital Markets

Islamische Kapitalmärkte bieten eine Plattform für die Emission und den Handel von Scharia-konformen Finanzinstrumenten, wie:

  • Sukuk (z. B. Sovereign Sukuk, Unternehmenssukuk)

  • Islamic Equity Funds, die nur in Scharia-konforme Unternehmen investieren

  • Shariah-Compliant Indices, z. B. Dow Jones Islamic Market Index

Investitionen in Aktien sind nur dann erlaubt, wenn das Geschäftsmodell des Unternehmens mit der Scharia im Einklang steht. Zusätzlich gibt es finanzielle Filter, etwa für Verschuldungsgrad oder Zinsanteil.

Globaler Markt und Wachstum

Islamic Finance hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem globalen Markt entwickelt. Schätzungen zufolge betrug das weltweite Volumen islamischer Finanzprodukte im Jahr 2023 über 2,5 Billionen US-Dollar mit weiterem Wachstumspotenzial. Hauptzentren des islamischen Finanzwesens sind:

  • Malaysia (führend im Bereich Sukuk und Islamic Banking)

  • Saudi-Arabien und die Golfstaaten

  • Indonesien

  • Pakistan

  • Vereinigtes Königreich (London als westliches Zentrum für Islamic Finance)

  • Kasachstan (über das Astana International Financial Centre)

Auch internationale Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank beschäftigen sich zunehmend mit islamischen Finanzlösungen – insbesondere im Kontext nachhaltiger Entwicklung und inklusiver Finanzierung.

Herausforderungen und Kritik

Trotz des Wachstums steht Islamic Finance vor verschiedenen Herausforderungen:

  • Harmonisierung der Scharia-Auslegung: Unterschiedliche Interpretationen durch Gelehrte führen zu uneinheitlichen Standards.

  • Mangel an Fachpersonal: Es fehlt an Experten, die sowohl Finanz- als auch Scharia-Wissen vereinen.

  • Begrenzte Produktvielfalt: Im Vergleich zu konventionellen Finanzmärkten ist die Produktpalette noch eingeschränkt.

  • Regulatorische Unsicherheit: In vielen Ländern gibt es keinen klaren rechtlichen Rahmen für Islamic Finance.

Zudem wird vereinzelt Kritik geäußert, dass manche Strukturen lediglich zinsbasierte Produkte imitieren, ohne den Geist der Scharia wirklich zu erfüllen.

Fazit

Islamic Finance ist ein dynamisch wachsender Teil des globalen Finanzsystems, der ethische, religionsbasierte Prinzipien mit modernen Finanzinstrumenten verbindet. Es bietet Alternativen zu konventionellen Produkten, indem es zinsfreie, auf realwirtschaftlicher Beteiligung basierende Modelle einsetzt. Besonders in Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit und zunehmend auch in internationalen Finanzzentren gewinnt Islamic Finance an Bedeutung.

Als Teil der globalen Finanzdiversifizierung und im Zuge des wachsenden Interesses an ethischem und nachhaltigem Investieren könnte Islamic Finance künftig eine noch größere Rolle spielen – vorausgesetzt, die bestehenden Herausforderungen werden erfolgreich adressiert.