Schwellenländer Börsenlexikon Vorheriger Begriff: Schwarzer Montag (1987) Nächster Begriff: Schwellenländer-Fonds

Ein Land mit sich entwickelnder Wirtschaft, das hohes Wachstumspotenzial bietet, aber auch erhöhte Risiken durch politische Instabilität, Währungsschwankungen und weniger entwickelte Finanzmärkte birgt

Schwellenländer sind Volkswirtschaften, die sich in einem Übergangsstadium zwischen Entwicklungs- und Industrieländern befinden. Der Begriff stammt aus der ökonomischen Entwicklungsforschung und wurde in den 1980er-Jahren populär, um Länder zu bezeichnen, die ein beschleunigtes Wirtschaftswachstum aufweisen und sich durch eine zunehmende Integration in die Weltwirtschaft auszeichnen. Obwohl es keine einheitliche, formale Definition gibt, wird die Zuordnung in der Praxis häufig anhand von wirtschaftlichen, sozialen und politischen Kriterien vorgenommen. Internationale Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank oder der Indexanbieter MSCI führen regelmäßig Listen von Ländern, die als Schwellenländer eingestuft werden.

Charakteristische Merkmale von Schwellenländern

Schwellenländer verfügen typischerweise über eine Reihe von Merkmalen, die sie sowohl von klassischen Entwicklungsländern als auch von hochindustrialisierten Staaten abgrenzen. Dazu zählen:

  1. Wirtschaftliches Wachstum: Schwellenländer weisen in der Regel ein dynamisches und überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum auf, das häufig durch Exportsteigerungen, Industrieaufbau und Investitionen gefördert wird.

  2. Struktureller Wandel: Die Volkswirtschaften dieser Länder befinden sich im Prozess der Transformation von einer agrarisch geprägten Wirtschaftsstruktur hin zu einer industriellen und zunehmend dienstleistungsorientierten Wirtschaftsweise.

  3. Demografisches Potenzial: Viele Schwellenländer haben eine junge, wachsende Bevölkerung, was langfristig zu einem höheren Arbeitskräftepotenzial und zu einem Anstieg des Konsums führen kann.

  4. Urbanisierung und Infrastrukturausbau: Infolge der wirtschaftlichen Entwicklung schreitet die Urbanisierung rasch voran, was mit umfangreichen Infrastrukturprojekten in Bereichen wie Verkehr, Energieversorgung und Telekommunikation einhergeht.

  5. Integration in den Welthandel: Schwellenländer sind zunehmend in internationale Produktions- und Handelsketten eingebunden. Sie exportieren sowohl Rohstoffe als auch verarbeitete Güter und importieren Technologien sowie Investitionsgüter.

  6. Anfälligkeit gegenüber Krisen: Trotz positiver Wachstumsdynamik sind Schwellenländer häufig von politischer Instabilität, Korruption, wirtschaftlicher Ungleichheit oder instabilen institutionellen Rahmenbedingungen betroffen.

Beispiele und regionale Einordnung

Zu den bekanntesten Schwellenländern zählen unter anderem Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – ein Länderverbund, der unter dem Akronym „BRICS“ zusammengefasst wird. Darüber hinaus gelten Länder wie Indonesien, Mexiko, die Türkei, Thailand, Malaysia, Vietnam, die Philippinen oder Polen als typische Vertreter dieser Kategorie. Die Einordnung ist jedoch dynamisch: Staaten können mit fortschreitender Entwicklung den Status eines Industrielandes erreichen oder bei anhaltenden wirtschaftlichen Problemen in die Gruppe der Entwicklungsländer zurückfallen.

Abgrenzung zu Entwicklungs- und Industrieländern

Während Entwicklungsländer häufig durch niedrige Pro-Kopf-Einkommen, geringe Industrieanteile und mangelhafte Infrastruktur gekennzeichnet sind, verfügen Schwellenländer bereits über funktionierende Märkte, ein gewisses Maß an industrieller Entwicklung und zunehmend leistungsfähige Institutionen. Im Unterschied zu Industrieländern sind sie jedoch noch mit strukturellen Defiziten konfrontiert, etwa in der Einkommensverteilung, im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie im Rechtssystem.

Industrieländer weisen im Vergleich stabilere wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen auf, verfügen über diversifizierte Volkswirtschaften, hohe Produktivität und ausgebaute soziale Sicherungssysteme. Der Übergang von einem Schwellen- zu einem Industrieland vollzieht sich in der Regel über viele Jahre hinweg und erfordert tiefgreifende Reformen sowie nachhaltiges Wachstum.

Wirtschaftliche Bedeutung im globalen Kontext

Die wirtschaftliche Bedeutung von Schwellenländern hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Inzwischen stammen große Anteile des globalen Wachstums aus diesen Ländern. Einige davon – insbesondere China und Indien – sind zu wichtigen Akteuren im internationalen Handel, in der Industrieproduktion sowie auf den Kapitalmärkten geworden. Schwellenländer stellen heute einen bedeutenden Anteil an der Weltbevölkerung, am Welthandel und an den globalen Investitionen. Ihre wachsende Mittelschicht sorgt für eine steigende Konsumnachfrage, die auch für Unternehmen aus Industrieländern attraktive Absatzmärkte darstellt.

Zudem engagieren sich viele dieser Länder zunehmend in internationalen Organisationen wie der G20 oder regionalen Zusammenschlüssen wie ASEAN oder Mercosur. Sie nehmen damit auch politischen Einfluss auf die Gestaltung der globalen Wirtschaftsordnung.

Herausforderungen und Risiken

Trotz ihres Fortschritts sehen sich Schwellenländer mit einer Reihe struktureller Herausforderungen konfrontiert:

  1. Ungleichheit und soziale Spannungen: In vielen Schwellenländern bestehen erhebliche Einkommens- und Vermögensunterschiede, die soziale Instabilität fördern können.

  2. Schwache Institutionen: Die Durchsetzung von Rechtssicherheit, Korruptionsbekämpfung und transparente Regierungsführung sind häufig unzureichend entwickelt.

  3. Umweltprobleme: Das starke wirtschaftliche Wachstum geht oft mit erheblichen Umweltbelastungen einher, darunter Luft- und Wasserverschmutzung, Entwaldung und Klimarisiken.

  4. Externe Abhängigkeit: Schwellenländer sind oft stark von Kapitalzuflüssen, Rohstoffpreisen oder Exportmärkten abhängig, was sie anfällig für externe Schocks macht.

  5. Bildung und Qualifikation: Obwohl Fortschritte erzielt wurden, bestehen weiterhin Defizite in der flächendeckenden Bildung und beruflichen Qualifizierung, was langfristig das Produktivitätswachstum hemmen kann.

Rolle in der internationalen Finanzwelt

In der globalen Finanzwelt nehmen Schwellenländer zunehmend eine zentrale Rolle ein. Viele internationale Investoren, darunter Pensionsfonds, Versicherungen und Privatanleger, investieren in Anleihen oder Aktien von Unternehmen aus diesen Regionen, um von deren Wachstumspotenzial zu profitieren. Gleichzeitig sind Kapitalmärkte in Schwellenländern oft weniger reguliert, volatiler und weniger liquide als in etablierten Volkswirtschaften, was das Anlagerisiko erhöht.

Ratingagenturen bewerten viele dieser Länder mit einem niedrigeren Bonitätsrating, was sich in höheren Renditeforderungen auf Staatsanleihen widerspiegelt. Gleichzeitig ist die Diversifikation in Schwellenländer für Anleger eine Möglichkeit, Portfolios breiter aufzustellen und vom wirtschaftlichen Aufholprozess zu profitieren.

Zukünftige Entwicklungen

Die weitere Entwicklung von Schwellenländern hängt maßgeblich von ihrer Fähigkeit ab, Reformprozesse umzusetzen, die Innovationskraft zu stärken, die institutionelle Qualität zu verbessern und sich nachhaltig zu entwickeln. Der technologische Wandel, insbesondere im Bereich Digitalisierung und erneuerbare Energien, könnte neuen Wachstumsschub ermöglichen. Auch regionale Integrationsprozesse und neue Handelsabkommen eröffnen Chancen für wirtschaftliche Stabilität und Wohlstand.

Gleichzeitig sind geopolitische Risiken, demografische Herausforderungen und der globale Klimawandel Faktoren, die die Entwicklung dieser Länder bremsen oder stark beeinflussen können.

Fazit

Schwellenländer nehmen eine Zwischenposition in der globalen Wirtschaftsordnung ein. Sie zeichnen sich durch dynamisches Wachstum und strukturelle Veränderungen aus, weisen aber auch erhebliche Entwicklungsdefizite auf. Ihre wachsende Bedeutung in der Weltwirtschaft eröffnet Chancen für Handel, Investitionen und Kooperation, bringt jedoch auch Risiken für Investoren und politische Entscheidungsträger mit sich. Die differenzierte Betrachtung jedes einzelnen Landes ist entscheidend, da sich Schwellenländer in ihren wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen teils erheblich unterscheiden. Langfristig bleibt die Entwicklung dieser Länder ein zentraler Faktor für das globale Wirtschaftswachstum und für internationale Finanzmärkte.