Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) Börsenlexikon Vorheriger Begriff: Neutralitätsgebot (§ 33 WpÜG) Nächster Begriff: Weiße Ritter (White Knights)
Ein deutsches Gesetz, das den Ablauf öffentlicher Übernahme- und Pflichtangebote für börsennotierte Aktiengesellschaften regelt, Transparenz schafft und den Schutz der Aktionäre sowie faire Bedingungen sicherstellt
Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) ist das zentrale Gesetz des deutschen Kapitalmarktrechts zur Regelung öffentlicher Übernahmen und Pflichtangebote für börsennotierte Gesellschaften. Es wurde am 1. Januar 2002 in Kraft gesetzt und dient der rechtlichen Ordnung von Erwerbsprozessen, bei denen durch den Erwerb von Stimmrechten eine Kontrolle über ein börsennotiertes Unternehmen angestrebt wird. Das Gesetz soll insbesondere Transparenz schaffen, faire Bedingungen für Aktionäre gewährleisten und die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte sicherstellen.
Das WpÜG setzt wesentliche Vorgaben der europäischen Übernahmerichtlinie (Richtlinie 2004/25/EG) in deutsches Recht um und gilt als zentraler Bestandteil des Übernahmerechtsrahmens innerhalb der Bundesrepublik Deutschland.
Anwendungsbereich
Das WpÜG findet Anwendung auf Erwerbsangebote, Übernahmeangebote und Pflichtangebote, die sich auf Aktien von Zielgesellschaften beziehen, deren Sitz im Inland liegt und deren Aktien zum Handel an einem organisierten Markt im Inland zugelassen sind. Damit erfasst das Gesetz ausschließlich börsennotierte Gesellschaften, nicht aber private oder nicht börsennotierte Unternehmen.
Im Fokus stehen insbesondere Situationen, in denen ein Bieter eine Kontrollmehrheit – in der Regel definiert als mindestens 30 % der Stimmrechte – erwerben möchte oder bereits erworben hat. In einem solchen Fall besteht eine gesetzliche Pflicht zur Abgabe eines öffentlichen Pflichtangebots an die übrigen Aktionäre.
Grundformen öffentlicher Angebote nach dem WpÜG
Das Gesetz unterscheidet im Wesentlichen drei Arten öffentlicher Angebote:
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Übernahmeangebot:
Ziel ist die Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft. Das Angebot muss den Aktionären unter transparenten Bedingungen die Möglichkeit geben, ihre Anteile zu veräußern. -
Pflichtangebot:
Wird ein Kontrollerwerb (ab 30 % der Stimmrechte) außerhalb eines öffentlichen Angebots realisiert, muss der Erwerber ein Pflichtangebot an alle übrigen Aktionäre abgeben. -
Angebot zur Erlangung einer Beteiligung ohne Kontrollerwerb (sonstiges Erwerbsangebot):
In diesem Fall wird keine Kontrolle angestrebt, es handelt sich etwa um freiwillige Angebote zur Beteiligung an einem Unternehmen ohne Erwerb der Mehrheit.
Verfahrensablauf eines Übernahmeangebots
Das WpÜG regelt detailliert die einzelnen Schritte eines Übernahmeprozesses. Der Ablauf gliedert sich typischerweise in folgende Phasen:
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Entscheidung zur Angebotsabgabe und Vorabmeldung (§ 10 WpÜG):
Sobald ein Bieter die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots getroffen hat, muss er dies unverzüglich veröffentlichen. -
Angebotsunterlage (§ 11 ff. WpÜG):
Innerhalb von vier Wochen nach Veröffentlichung der Angebotsabsicht muss der Bieter eine Angebotsunterlage erstellen und bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zur Prüfung einreichen. Diese Unterlage enthält insbesondere Angaben zum Angebotspreis, zur Finanzierung und zu strategischen Absichten. -
Prüfung durch die BaFin (§ 14 WpÜG):
Die BaFin prüft die Angebotsunterlage innerhalb von zehn Werktagen auf Vollständigkeit und Übereinstimmung mit den gesetzlichen Anforderungen. Nach der Gestattung erfolgt die Veröffentlichung. -
Annahmefrist und Abwicklung (§ 16–23 WpÜG):
Die Aktionäre können das Angebot innerhalb einer gesetzlich vorgeschriebenen Annahmefrist annehmen. Der Bieter muss nach Ablauf der Frist das Ergebnis veröffentlichen und die Angebotsabwicklung vornehmen.
Pflichten des Bieters
Der Bieter ist zur Gleichbehandlung aller Aktionäre verpflichtet (§ 3 WpÜG). Der Angebotspreis muss mindestens dem durchschnittlichen Börsenkurs der letzten drei Monate sowie dem höchsten vom Bieter in den letzten sechs Monaten gezahlten Preis entsprechen. Dies stellt sicher, dass kein Aktionär benachteiligt wird.
Zudem muss der Bieter die Finanzierung des Angebots vor Angebotsveröffentlichung sicherstellen und dies nachweisen (§ 13 WpÜG). Damit wird verhindert, dass nicht gedeckte Angebote auf den Markt gebracht werden.
Pflichten der Zielgesellschaft
Während des Übernahmeprozesses gelten für die Leitung der Zielgesellschaft bestimmte Verhaltenspflichten. Besonders hervorzuheben ist das Neutralitätsgebot (§ 33 WpÜG), das der Unternehmensleitung untersagt, Maßnahmen zu ergreifen, die den Erfolg des Angebots vereiteln könnten – es sei denn, die Hauptversammlung stimmt ausdrücklich zu.
Zudem muss die Zielgesellschaft eine Stellungnahme zum Angebot abgeben (§ 27 WpÜG). Diese soll den Aktionären helfen, eine informierte Entscheidung zu treffen. Die Stellungnahme enthält u. a. eine Bewertung des Angebotspreises, strategische Überlegungen und mögliche Auswirkungen auf Arbeitnehmer und Geschäftstätigkeit.
Rolle der BaFin
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nimmt im Rahmen des WpÜG eine zentrale Überwachungsfunktion wahr. Sie prüft die Angebotsunterlage, kontrolliert die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und kann bei Verstößen Sanktionen verhängen. Die BaFin sorgt damit für einen fairen und transparenten Ablauf von Übernahmeverfahren.
Bedeutung für Aktionäre
Für Aktionäre bietet das WpÜG einen hohen Grad an Transparenz und rechtlicher Absicherung. Sie erhalten durch die Angebotsunterlage und die Stellungnahme der Zielgesellschaft fundierte Informationen, die ihnen eine eigenverantwortliche Entscheidung ermöglichen. Zudem sichert die Gleichbehandlungspflicht faire wirtschaftliche Bedingungen.
Gleichzeitig schützt das Gesetz Minderheitsaktionäre, indem es bei einem Kontrollerwerb eine Pflicht zur Abgabe eines Angebots vorsieht. Damit wird verhindert, dass einzelne Großaktionäre durch stille Beteiligungskäufe ohne Gegenleistung für die übrigen Aktionäre die Kontrolle übernehmen.
Kritik und Reformüberlegungen
Das WpÜG wird in der Fachwelt grundsätzlich als ausgewogen und effektiv angesehen. Kritik besteht jedoch in Bezug auf bestimmte Detailregelungen, etwa die Festlegung der Kontrollschwelle bei 30 % oder die Anwendungspraxis der BaFin bei grenzüberschreitenden Übernahmen. Auch die faktische Passivität der Zielgesellschaft infolge des Neutralitätsgebots wird vereinzelt hinterfragt.
Im Zuge der europäischen Kapitalmarktintegration und durch technologische Entwicklungen an den Finanzmärkten sind gelegentliche Anpassungen des Gesetzes erforderlich. Dies betrifft insbesondere die Digitalisierung des Verfahrensablaufs, die Behandlung von Derivaten bei Stimmrechtszurechnungen sowie die Rolle aktivistischer Investoren.
Fazit
Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) bildet das Fundament für ein transparentes, geregeltes und faires Verfahren bei öffentlichen Übernahmen in Deutschland. Es schützt die Interessen der Aktionäre, insbesondere durch die Pflicht zur Gleichbehandlung und durch Informationsvorgaben. Gleichzeitig stellt es klare Rahmenbedingungen für Bieter und Zielgesellschaften auf und wird durch die BaFin als zuständige Aufsichtsbehörde effektiv überwacht. Das Gesetz ist ein unverzichtbares Instrument für die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts und trägt wesentlich zur Stärkung von Vertrauen und Rechtssicherheit im Bereich börsennotierter Unternehmensübernahmen bei.