Crash-Risiken und gewaltige Potentiale

vom 19.12.2022, 13:52 Uhr
Leeway
10740 Leser
Zuerst einmal sollte man sich eines bewusst machen: Die Stimmung an den Finanzmärkten ist katastrophal, vielleicht war sie im Vergleich zur Kursentwicklung nie schlechter. J.P. Morgan publizierte kürzlich Daten, für wie wahrscheinlich CEOs eine baldige Rezession halten. Die Antwort: deutlich über 40 % Wahrscheinlichkeit und damit die höchste Quote aller Zeiten. In den 70er und 80er Jahren gab es Erwartungen von gut 30 %, seitdem wurden selbst die Wahrscheinlichkeit einer Rezession von 20 % nur selten übertroffen. Laut Bloomberg erwarten Wallstreet-Analysten im Konsens zum ersten Mal in mehr als 20 Jahren fallende Kurse im nächsten Jahr. Der AAII-Sentiment Indikator der American Association of Individual Investors war noch nie einen derart langen Zeitraum so negativ, wie in diesem Jahr. Auch der Leeway Stimmungsindikator, der verschiedene Stimmungsindikatoren, Umfragen und Daten aus dem Optionshandel aggregiert, hat den Großteil des Jahres auf einem Panik-Niveau zugebracht, wie er zu Hochzeiten des Corona-Crashes erreicht wurde.
 
Der Doppelschlag aus plötzlich unkontrolliert steigender Inflation, die so lange vergeblich erwartet wurde, dass sie aus vielen Köpfen verbannt wurde, und einem höchst kriegerischen Russland, dessen Verhalten Reminiszenzen an den kalten Krieg weckten und selbst das Thema "atomarer Krieg" wieder auf den Tisch brachte, hat alle Marktteilnehmer zutiefst verunsichert. Dabei war die Gesellschaft und die Gedanken der Marktteilnehmer noch von der Jahrhundertpandemie Corona erschüttert. Kein Wunder also, dass die Marktteilnehmer historisch negativ gestimmt sind. Was kann bzw. was muss nun passieren, um einen Crash oder einen fortschreitenden Bärenmarkt auszulösen?
 
Die Stimmung funktioniert als Gegenindikator, d.h. je schlechter die Stimmungslage, desto wahrscheinlicher und heftiger sind Aufwärtsbewegungen. Schließlich bedeutet schlechte Stimmung mehr potentielle Käufer, wenn die Stimmung sich bessert. Für das Szenario eines andauernden Bärenmarktes ist also zuallererst die Abwesenheit von guten Nachrichten nötig, insbesondere was Inflation und wirtschaftliche Aussichten angeht. Wir haben es an den euphorischen Reaktionen auf die Inflationsdaten gesehen, die ich auch im Monatsbericht der Aktie der Woche eingehend besprochen habe. Sollte sich herauskristallisieren, dass die Rezession doch nicht eintritt oder nur kurz und schwach wird, dürfte das Abwärtsgeschehen auch ein jähes Ende finden. Rezessionen gehen übrigens bei weitem nicht immer mit fallenden Aktienkursen einher. Sollte die Inflation andererseits doch wieder ansteigen und eine schwere Rezession durch die Märkte laufen, dann kann sich dieser schwache Markt auch noch ein weiteres Jahr hinziehen.
 
Für einen Crash sind dagegen eher überraschende, schlechte Nachrichten nötig. Die Stimmung ist schlecht und die sind Käufer noch rar gesät. Eine böse Überraschung kann leicht zu einem sehr unangenehmen tiefen Kursrutsch führen, weil die hastigen Verkäufer nur auf wenige bereitwillige Käufer stoßen und die Mehrheit abwartet, bis sich die Märkte beruhigt haben. Einen solchen Fall haben wir während Corona im Frühjahr 2020 erlebt. Ein plötzlicher Anstieg der Inflation und eine entsprechend extreme Erhöhung der Leitzinsen durch die Notenbanken, könnte eine derartige Wirkung haben. Auch eine drastische Verschärfung der Themen Russland und Corona sind natürlich Kandidaten. Ernsthafte Angst vor dem Einsatz von Atomwaffen bzw. eine hochansteckende Corona-Variante mit einer zwei- bis dreifach höheren Sterblichkeitsrate als die Delta-Variante sind Entwicklungen, die die Marktteilnehmer noch einmal derart in Panik versetzen dürften. Letztlich bleibt die Amerika-China-Beziehung eine große Unbekannte. Eine drastische Verschärfung in diesem Konflikt würde weiteres unkalkulierbares Gefahrenpotential eröffnen und noch einmal eine Welle der Unsicherheit durch die Märkte schicken. Kurz gesagt, sollten die absoluten Worst-Case-Szenarien eintreten, ist das Potential für einen echten Crash gegeben.
 
Haben wir auf der anderen Seite die hässlichsten Überraschungen vorerst durchlebt und die Lage verbleibt ungefähr auf dem Status quo oder wird sogar positiver, dürften die Märkte den Blick aufwärts richten. Kurzfristig deutet dank Inflationsdaten und US-Notenbank ohnehin vieles auf steigende Kurse, insbesondere auf amerikanischer Seite. Langfristig lohnt es sich an diesem Punkt einmal die vollständige Historie der modernen Börsenkurse anzuschauen und den Kursverlauf der letzten 100 Jahre zu betrachten. Der Dow-Jones Zyklus verspricht bei einer 3. Wiederholung gewaltige Gewinne.
 
Ob man den Dow Jones betrachtet oder den S&P 500: in beiden Fällen sind drei Seitwärtszyklen auffällig. Die Zeit der späten 20er Jahren, den Roaring Twenties bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, die 70er Jahre und die letzte große Schwächeperiode von 2000 bis in die frühen 2010er Jahre. Ab 1945 und 1980 folgten jeweils jahrzehntelange Rallies, in deren Prozess die Kurse von den Tiefs um das mehr als 20-fache stiegen. Derzeit sehen wir Gewinn von "nur" rund 400 % seit dem Tiefstpunkt während der Bankenkrise 2008/09. Eine Wiederholung der beiden vorherigen Zyklen würde ein Anstieg der Aktienmärkte bedeuten, der erst in den 2040er Jahren endet und S&P 500 sowie Dow Jones bis zu Höchstständen oberhalb der 16.000 bzw. 160.000er Marken trägt. Es hat mit Sicherheit schon schlechtere Zeitpunkte gegeben, um Aktien zu kaufen.
 

Lars Wißler besitzt keine der erwähnten Aktien. PWP Leeway besitzt keine der erwähnten Aktien.

 

Autor: Lars Wißler, Gründer und Geschäftsführer von Leeway

Jetzt mehr Artikel wie diesen lesen

Aktienhandel wird unkompliziert: www.leeway.tech

Werte zum Blogbeitrag
Name Aktuell Diff. Börse
Dax 18.521,00 PKT +0,03 % Lang & Schwarz
Dow Jones 39.761,50 PKT -0,04 % TTMzero RT (USD)
E-stoxx 50 5.097,15 PKT -0,10 % Citigroup
Mdax 27.095,86 PKT -0,27 % Citigroup
S&p 500 5.247,20 PKT -0,14 % TTMzero RT (USD)
Us Tech 100 18.244,96 PKT -0,24 % TTMzero RT (USD)

Dis­clai­mer: Die hier an­ge­bo­te­nen Bei­trä­ge die­nen aus­schließ­lich der In­for­ma­t­ion und stel­len kei­ne Kauf- bzw. Ver­kaufs­em­pfeh­lung­en dar. Sie sind we­der ex­pli­zit noch im­pli­zit als Zu­sich­er­ung ei­ner be­stim­mt­en Kurs­ent­wick­lung der ge­nan­nt­en Fi­nanz­in­stru­men­te oder als Handl­ungs­auf­for­der­ung zu ver­steh­en. Der Er­werb von Wert­pa­pier­en birgt Ri­si­ken, die zum To­tal­ver­lust des ein­ge­setz­ten Ka­pi­tals füh­ren kön­nen. Die In­for­ma­tion­en er­setz­en kei­ne, auf die in­di­vi­du­el­len Be­dür­fnis­se aus­ge­rich­te­te, fach­kun­di­ge An­la­ge­be­ra­tung. Ei­ne Haf­tung oder Ga­ran­tie für die Ak­tu­ali­tät, Rich­tig­keit, An­ge­mes­sen­heit und Vol­lständ­ig­keit der zur Ver­fü­gung ge­stel­lt­en In­for­ma­tion­en so­wie für Ver­mö­gens­schä­den wird we­der aus­drück­lich noch stil­lschwei­gend über­nom­men. Die Mar­kets In­side Me­dia GmbH hat auf die ver­öf­fent­lich­ten In­hal­te kei­ner­lei Ein­fluss und vor Ver­öf­fent­lich­ung der Bei­trä­ge kei­ne Ken­nt­nis über In­halt und Ge­gen­stand die­ser. Die Ver­öf­fent­lich­ung der na­ment­lich ge­kenn­zeich­net­en Bei­trä­ge er­folgt ei­gen­ver­ant­wort­lich durch Au­tor­en wie z.B. Gast­kom­men­ta­tor­en, Nach­richt­en­ag­en­tur­en, Un­ter­neh­men. In­fol­ge­des­sen kön­nen die In­hal­te der Bei­trä­ge auch nicht von An­la­ge­in­te­res­sen der Mar­kets In­side Me­dia GmbH und/oder sei­nen Mit­ar­bei­tern oder Or­ga­nen be­stim­mt sein. Die Gast­kom­men­ta­tor­en, Nach­rich­ten­ag­en­tur­en, Un­ter­neh­men ge­hör­en nicht der Re­dak­tion der Mar­kets In­side Me­dia GmbH an. Ihre Mei­nung­en spie­geln nicht not­wen­di­ger­wei­se die Mei­nung­en und Auf­fas­sung­en der Mar­kets In­side Me­dia GmbH und de­ren Mit­ar­bei­ter wie­der. Aus­führ­lich­er Dis­clai­mer