Expected Shortfall (ES) Börsenlexikon Vorheriger Begriff: Conditional Value at Risk (CVaR) Nächster Begriff: Tail-Risk (Extremrisiken)
Eine verbesserte Risikokennzahl, die über den Value at Risk (VaR) hinausgeht, indem sie nicht nur eine Verlustschwelle angibt, sondern auch den durchschnittlichen Verlust in Extremsituationen berücksichtigt
Der Expected Shortfall (ES), auch als Conditional Value at Risk (CVaR) bekannt, ist eine erweiterte Risikokennzahl, die das durchschnittliche Verlustpotenzial einer Anlage oder eines Portfolios in den extremsten Verlustfällen misst. Während der traditionelle Value at Risk (VaR) lediglich eine Verlustgrenze mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit angibt, geht der Expected Shortfall weiter und berechnet den durchschnittlichen Verlust in den schlimmsten Fällen, wenn der VaR überschritten wird.
Diese Kennzahl ist besonders relevant für Finanzinstitute, Investmentfonds und institutionelle Investoren, da sie eine präzisere Einschätzung von Extremrisiken ermöglicht und regulatorisch zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Definition und Bedeutung des Expected Shortfall
Der Expected Shortfall gibt den durchschnittlichen Verlust an, der auftritt, wenn der Verlust eines Portfolios über den Value at Risk (VaR) hinausgeht. Er wird oft bei einem Konfidenzniveau von 95 % oder 99 % berechnet und dient als realistischere Kennzahl zur Beurteilung von Risikoszenarien.
Mathematisch lässt sich der Expected Shortfall wie folgt ausdrücken:
\[ ES_{\alpha} = E[L | L > VaR_{\alpha}] \]
wobei:
- \( L \) die Verlustverteilung beschreibt,
- \( VaR_{\alpha} \) der Value at Risk für das Konfidenzniveau α\alpha ist,
- \( E[L | L > VaR_{\alpha}] \) der erwartete Verlust in den schlechtesten Fällen darstellt.
Unterschiede zwischen VaR und Expected Shortfall
| Kennzahl | Beschreibung |
|---|---|
| Value at Risk (VaR) | Gibt den maximalen Verlust an, der mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird. |
| Expected Shortfall (ES) | Gibt den durchschnittlichen Verlust an, wenn der VaR überschritten wird, und berücksichtigt Extremrisiken besser. |
Ein praktisches Beispiel verdeutlicht den Unterschied:
Angenommen, ein Portfolio hat einen 1-Tages-VaR von 2 Millionen € bei einem 95 % Konfidenzniveau. Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit eines Tagesverlusts über 2 Millionen € nur 5 % beträgt.
Der Expected Shortfall (ES) könnte in diesem Fall beispielsweise 3 Millionen € betragen, was bedeutet, dass der durchschnittliche Verlust in diesen 5 % der schlimmsten Fälle 3 Millionen € beträgt.
Berechnungsmethoden des Expected Shortfall
Der Expected Shortfall kann mit verschiedenen Methoden berechnet werden:
| Methode | Beschreibung |
|---|---|
| Historische Simulation | Betrachtet vergangene Marktbewegungen und berechnet den durchschnittlichen Verlust für die schlechtesten 5 % oder 1 % der Fälle. |
| Monte-Carlo-Simulation | Simuliert Tausende mögliche Marktbewegungen und bestimmt den durchschnittlichen Extremverlust. |
| Analytische Methode (Varianz-Kovarianz-Ansatz) | Basierend auf der Annahme einer Normalverteilung der Renditen wird der ES mathematisch aus dem VaR abgeleitet. |
Die Monte-Carlo-Methode wird besonders bei komplexen Portfolios bevorzugt, da sie nicht auf Normalverteilungsannahmen angewiesen ist und eine flexiblere Risikobewertung ermöglicht.
Vorteile des Expected Shortfall gegenüber dem VaR
Der Expected Shortfall bietet mehrere wesentliche Vorteile gegenüber dem Value at Risk:
- Berücksichtigt Extremrisiken: Während der VaR nur eine Grenze definiert, gibt der ES Auskunft über den durchschnittlichen Verlust in den schlimmsten Fällen.
- Vermeidet Verzerrungen durch "Cliff-Risk": Da der VaR nur eine bestimmte Schwelle betrachtet, kann er große Verluste oberhalb dieser Schwelle ignorieren. Der ES schließt diese Lücke.
- Mathematische Konsistenz: Der ES erfüllt die Subadditivitätseigenschaft, was bedeutet, dass er die Diversifikationseffekte innerhalb eines Portfolios korrekt berücksichtigt – eine Eigenschaft, die beim VaR nicht immer gegeben ist.
- Regulatorische Akzeptanz: In den Basel-III-Richtlinien zur Bankenregulierung wird der Expected Shortfall als bevorzugte Kennzahl für Markt- und Kreditrisiken anerkannt.
Anwendung des Expected Shortfall im Risikomanagement
Der Expected Shortfall wird in verschiedenen Finanzbereichen eingesetzt:
-
Banken und Finanzinstitute:
- Berechnung des Eigenkapitals zur Absicherung von Marktrisiken.
- Analyse von Kreditrisiken und Stressszenarien.
-
Portfolio-Management:
- Optimierung von Anlagestrategien durch Minimierung von Extremrisiken.
- Anwendung im Risk-Parity-Ansatz, bei dem Portfolios auf Basis ihres Risikobeitrags optimiert werden.
-
Hedgefonds und institutionelle Anleger:
- Überwachung von Risikopositionen in volatilen Marktphasen.
- Einsatz zur Absicherung gegen Tail-Risks (extreme Marktereignisse).
-
Versicherungen:
- Anwendung bei der Bewertung von Kapitalanforderungen im Rahmen von Solvency II.
- Berechnung von Risiken für Rückversicherungsprodukte.
Beispiel für die Berechnung des Expected Shortfall
Ein Fondsmanager analysiert ein Portfolio mit einem 95 % VaR von 2 Millionen €. Die extremsten Verluste (die schlechtesten 5 % der Renditen) liegen durchschnittlich bei 3 Millionen €.
Dann beträgt der Expected Shortfall (ES) = 3 Millionen €.
Das bedeutet: Falls der Verlust die 2-Millionen-€-Grenze überschreitet, beträgt der durchschnittliche Verlust in diesen Fällen 3 Millionen €.
Fazit
Der Expected Shortfall (ES) ist eine verbesserte Risikokennzahl, die über den Value at Risk (VaR) hinausgeht, indem sie nicht nur eine Verlustschwelle angibt, sondern auch den durchschnittlichen Verlust in Extremsituationen berücksichtigt. Aufgrund seiner Fähigkeit, Tail-Risiken besser abzubilden, gilt der ES als zuverlässigere und präzisere Risikokennzahl und wird zunehmend als Standardmaß für das Risikomanagement in Banken, Investmentfonds und Versicherungen verwendet.