Fair Value Börsenlexikon Vorheriger Begriff: Europäische Zentralbank (EZB) Nächster Begriff: Faktura
Ein Wert, der den geschätzten marktgerechten Preis eines Vermögenswerts oder einer Verbindlichkeit unter aktuellen Marktbedingungen widerspiegelt, um eine objektive Bewertung ohne Einfluss von Zwang oder Verzerrungen zu ermöglichen
Fair Value (auf Deutsch: beizulegender Zeitwert) ist ein zentraler Bewertungsbegriff in der Finanzwirtschaft und Rechnungslegung. Er bezeichnet den geschätzten Marktwert eines Vermögenswertes oder einer Verbindlichkeit, zu dem dieser zwischen sachverständigen, vertragswilligen und voneinander unabhängigen Parteien in einem ordnungsgemäßen Geschäftsvorgang getauscht oder beglichen werden könnte. Der Fair Value stellt somit einen objektivierten Wertmaßstab dar, der sowohl in der internationalen als auch der nationalen Bilanzierung und bei der Bewertung von Finanzinstrumenten eine zentrale Rolle spielt.
Definition und rechtlicher Rahmen
Der Begriff ist vor allem durch internationale Rechnungslegungsstandards geprägt, insbesondere durch die International Financial Reporting Standards (IFRS), genauer: IFRS 13 „Fair Value Measurement“. Dort wird der Fair Value definiert als:
„Der Preis, der beim Verkauf eines Vermögenswerts oder bei der Übertragung einer Verbindlichkeit zwischen Marktteilnehmern am Bewertungsstichtag im Rahmen einer geordneten Transaktion erzielt würde.“
Auch im deutschen Handelsrecht (HGB) findet sich in bestimmten Bereichen, etwa bei der Bewertung von Finanzinstrumenten zum beizulegenden Zeitwert (§ 253 Abs. 1 Satz 4 HGB), eine Anlehnung an das Fair-Value-Prinzip.
Abgrenzung zu anderen Bewertungsmaßstäben
Der Fair Value unterscheidet sich von anderen Bewertungsansätzen:
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Anschaffungskosten: Historisch orientiert; berücksichtigt nicht die aktuelle Marktlage.
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Erfüllungsbetrag: Bewertet Schulden zum Rückzahlungswert, nicht zum Marktwert.
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Liquidationswert: Unterstellt eine Zerschlagung, nicht einen funktionierenden Markt.
Im Unterschied dazu ist der Fair Value marktorientiert, aktuell und objektiviert. Ziel ist es, den wirtschaftlich „richtigen“ Wert unter realistischen Marktbedingungen abzubilden – nicht den ursprünglich gezahlten oder bilanzierten Wert.
Anwendungsbereiche
Der Fair Value spielt in zahlreichen Bereichen des Finanzwesens eine bedeutende Rolle:
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Bilanzierung (nach IFRS und teilweise HGB):
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Bewertung von Finanzinstrumenten, z. B. Aktien, Derivate, Anleihen.
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Bewertung von Immobilien, sofern zum Fair Value bilanziert wird (z. B. bei Investment Properties nach IAS 40).
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Bewertung von biologischen Vermögenswerten nach IAS 41 (z. B. landwirtschaftliche Nutzflächen oder Pflanzenbestände).
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Mergers & Acquisitions:
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Fair Value als Bewertungsgrundlage bei Unternehmensübernahmen, zur Festlegung des Kaufpreises oder zur Allokation des Kaufpreises auf Vermögenswerte und Schulden (Purchase Price Allocation, PPA).
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Risiko- und Portfoliomanagement:
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Bewertung von Finanzportfolios, insbesondere bei Investmentfonds oder Versicherungen.
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Grundlage für die Berechnung von Nettoinventarwerten (Net Asset Value, NAV).
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Besteuerung:
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Verwendung im Rahmen der Erbschaft- und Schenkungsteuer zur Feststellung des gemeinen Werts.
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Gerichtliche oder gutachterliche Bewertungen, z. B. bei Enteignungsverfahren oder bei Kapitalmaßnahmen in Gesellschaften.
Bewertungsmethoden
Der Fair Value wird auf Basis eines dreistufigen Modells ermittelt, das nach IFRS 13 sogenannte Bewertungshierarchien (Fair Value Hierarchy) unterscheidet:
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Level 1 – Marktpreise auf aktiven Märkten:
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Börsennotierte Aktien oder Anleihen mit regelmäßigen Handelsumsätzen.
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Der Fair Value entspricht dem beobachtbaren Marktpreis zum Stichtag.
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Level 2 – Ableitbare Werte:
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Keine direkten Marktpreise, aber Bewertung anhand beobachtbarer Inputfaktoren wie Zinskurven, Volatilitäten oder Vergleichswerte ähnlicher Instrumente.
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Level 3 – Nicht beobachtbare Inputs (modellbasierte Bewertung):
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Bewertung erfolgt auf Basis interner Modelle, z. B. Discounted-Cashflow-Verfahren (DCF), Multiplikatoren, Experteneinschätzungen.
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Kommt vor allem bei komplexen oder illiquiden Vermögenswerten zur Anwendung.
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Je höher die Bewertungsmethode auf der Hierarchiestufe angesiedelt ist, desto objektiver und marktbezogener gilt der ermittelte Wert.
Fair Value im Rahmen von IFRS 13
IFRS 13 legt umfassende Anforderungen an die Fair-Value-Bewertung fest:
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Berücksichtigung der wichtigsten Merkmale des Markts, in dem das Asset gehandelt wird.
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Betrachtung aus Sicht eines Marktteilnehmers, nicht des bilanzierenden Unternehmens.
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Ermittlung des Fair Value unabhängig von der Unternehmensstrategie (z. B. Buy-and-Hold).
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Keine Berücksichtigung von Synergieeffekten, die nur einem bestimmten Käufer zugutekommen.
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Verwendung des höchsten und besten Verwendungszwecks (Highest and Best Use), sofern verschiedene Nutzungen eines Vermögenswerts möglich sind.
Chancen und Vorteile
Die Bewertung zum Fair Value bietet mehrere Vorteile:
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Marktnähe und Aktualität: Der Wert orientiert sich an tatsächlichen Marktbedingungen.
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Vergleichbarkeit: Fair-Value-Bewertungen ermöglichen eine bessere Vergleichbarkeit zwischen Unternehmen und Zeiträumen.
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Transparenz: Insbesondere bei Finanzinstrumenten erhöht der beizulegende Zeitwert die Aussagekraft der Bilanz.
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Relevanz für Investoren: Investoren erhalten ein realistischeres Bild über die Vermögenslage eines Unternehmens.
Risiken und Kritik
Trotz seiner theoretischen Vorteile wird der Fair-Value-Ansatz auch kritisch beurteilt:
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Volatilität: Marktschwankungen führen zu stärkeren Bilanz- und Ergebnisveränderungen.
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Bewertungsunsicherheit: Insbesondere bei Level-3-Bewertungen ist die Ermittlung subjektiv geprägt und schwer nachprüfbar.
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Krisenanfälligkeit: In illiquiden oder gestörten Märkten kann der Marktpreis den wirtschaftlichen Wert verzerren (z. B. während der Finanzkrise 2008).
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Manipulationspotenzial: Modellbasierte Bewertungen können durch Annahmen gezielt beeinflusst werden.
Diese Aspekte haben zu einer breiten Diskussion geführt, insbesondere über die Rolle des Fair Value bei der Verstärkung von Finanzmarktkrisen oder bei der Abbildung langfristig gehaltener Vermögenswerte, deren Marktwert nicht dem beabsichtigten Nutzungswert entspricht.
Fazit
Der Fair Value ist ein zentrales Konzept zur marktnahen Bewertung von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten. Er dient der objektiven Darstellung wirtschaftlicher Verhältnisse auf Basis realistischer Marktannahmen und ist insbesondere in der internationalen Rechnungslegung von hoher Relevanz. Durch die klare Hierarchisierung der Bewertungsmethoden nach IFRS 13 wird versucht, Transparenz und Verlässlichkeit zu erhöhen. Gleichzeitig erfordert die Anwendung des Fair-Value-Konzepts ein hohes Maß an Sorgfalt, Fachkenntnis und kritischer Reflexion, da gerade modellbasierte Bewertungen mit Unsicherheiten und Ermessensspielräumen verbunden sind.