Money Market Fund Regulation (MMFR) Börsenlexikon Vorheriger Begriff: Verbriefungszweckgesellschaften Nächster Begriff: Identitätsprüfung (Know Your Customer, KYC)
Ein bedeutender Schritt zur Stärkung der Finanzmarktstabilität in Europa, der einen einheitlichen rechtlichen Rahmen für Geldmarktfonds schafft, Anleger schützt und systemische Risiken reduziert
Die Money Market Fund Regulation (MMFR) ist eine europäische Verordnung, die einheitliche Regeln für Geldmarktfonds innerhalb der Europäischen Union festlegt. Ziel der Verordnung ist es, die Stabilität des Finanzsystems zu stärken, Anlegerschutz zu gewährleisten und systemische Risiken zu minimieren, die von Geldmarktfonds (Money Market Funds, MMFs) ausgehen können. Die MMFR wurde am 14. Juni 2017 als Verordnung (EU) 2017/1131 erlassen und gilt seit dem 21. Juli 2018 unmittelbar in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Geldmarktfonds sind Investmentfonds mit dem Ziel, Anlegern einen liquiden, kurzfristig verzinsten und möglichst wertstabilen Anlagehafen zu bieten. Sie investieren in Geldmarktinstrumente wie Staatsanleihen mit kurzer Laufzeit, Unternehmensanleihen mit hoher Bonität, Tages- und Termingelder. Ihre Funktionsweise ähnelt stark der von Bankeinlagen – ohne jedoch in gleichem Maße durch Einlagensicherungssysteme geschützt zu sein. Gerade in Krisenzeiten besteht die Gefahr eines „Runs“ auf Geldmarktfonds, der Marktverwerfungen nach sich ziehen kann.
Die MMFR wurde als Reaktion auf die Erfahrungen aus der Finanzkrise 2007/2008 und der Eurokrise entwickelt. Insbesondere der Fall des US-amerikanischen Geldmarktfonds „Reserve Primary Fund“, der nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008 unter seinen Nettoinventarwert fiel („breaking the buck“), hatte gezeigt, wie anfällig solche Fonds bei Marktstress sein können.
Ziele und Anwendungsbereich der MMFR
Die MMFR verfolgt mehrere regulatorische Zielsetzungen:
- Sicherung der Stabilität des europäischen Geldmarktfondssektors
- Begrenzung von Liquiditäts- und Kreditrisiken
- Erhöhung der Transparenz gegenüber Anlegern und Aufsichtsbehörden
- Vermeidung systemischer Risiken im Schattenbanksektor
- Harmonisierung des Rechtsrahmens für MMFs in der EU
Die Verordnung gilt für sämtliche organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) und Alternative Investmentfonds (AIFs), die als Geldmarktfonds qualifiziert sind, d. h. überwiegend in kurzfristige, liquide Geldmarktinstrumente investieren. Sie gilt sowohl für Publikumsfonds als auch für Spezialfonds.
Kategorisierung von Geldmarktfonds nach MMFR
Die MMFR unterscheidet drei Hauptarten von Geldmarktfonds:
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Public Debt Constant Net Asset Value MMF (Public Debt CNAV MMF)
Diese Fonds investieren mindestens 99,5 % ihres Vermögens in öffentliche Schuldtitel und halten einen konstanten Nettoinventarwert (Net Asset Value, NAV) pro Anteil. Sie dürfen ihre Anteile zum festen Preis (in der Regel 1 Euro) ausgeben und zurücknehmen. -
Low Volatility Net Asset Value MMF (LVNAV MMF)
Diese Mischform ist neu mit der MMFR entstanden. LVNAV-Fonds dürfen ebenfalls einen konstanten Preis ausweisen, jedoch nur solange die Schwankung des Marktwerts innerhalb eines festgelegten Toleranzbereichs bleibt (in der Regel ±0,20 %). Bei Überschreitung muss auf Marktwertbasis bewertet werden. -
Variable Net Asset Value MMF (VNAV MMF)
Diese Fonds bewerten ihre Vermögenswerte stets zum aktuellen Marktpreis („mark-to-market“). Der Preis der Fondsanteile kann täglich schwanken. VNAV-Fonds gelten als risikoärmer in Bezug auf plötzliche Marktstresssituationen, da sie keine Preisstabilität versprechen.
Zentrale Anforderungen der MMFR
Die Verordnung enthält umfangreiche Anforderungen an die Struktur, Bewertung und Risikosteuerung von MMFs. Zu den wichtigsten Vorschriften zählen:
- Laufzeitbeschränkungen und Diversifikation
Geldmarktfonds dürfen nur in Anlagen mit kurzer Restlaufzeit investieren:
- Gewichtete durchschnittliche Laufzeit (WAM) max. 60 Tage
- Gewichtete durchschnittliche Restlaufzeit (WAL) max. 120 Tage
- Konzentrationsgrenzen je Emittent, Gruppe oder Emissionsart
- Liquiditätsanforderungen
MMFs müssen jederzeit ausreichende Liquiditätsreserven halten, um Rückgaben bedienen zu können:
- Mindestens 10 % des Portfolios täglich fällig
- Mindestens 30 % wöchentlich fällig (bei CNAV und LVNAV)
- Bewertungsmethoden
Je nach Fondsart gelten unterschiedliche Bewertungsregeln:
- CNAV und LVNAV: Kombination aus Marktwert und Amortized Cost
- VNAV: vollständige Bewertung zum Marktpreis
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Stresstests und Szenarioanalysen
MMFs müssen regelmäßig quantitative Stresstests durchführen, um ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Marktverwerfungen zu überprüfen. Dabei sind Szenarien wie Zinsanstiege, Zahlungsausfälle, Rückgaben oder Marktilliquidität zu simulieren. -
Transparenzpflichten
Fonds müssen gegenüber Investoren und der Aufsicht umfangreiche Informationen offenlegen:
- Zusammensetzung des Portfolios
- Liquiditätsquoten
- Nettoinventarwert (NAV)
- Ergebnis der Stresstests
Diese Daten sind regelmäßig zu veröffentlichen und zusätzlich an die nationalen Aufsichtsbehörden (z. B. BaFin in Deutschland) zu übermitteln.
Mathematische Grundlagen: Bewertung und Liquiditätsquoten
Ein zentraler Begriff in der MMFR ist der Net Asset Value (NAV), der den Wert eines Fondsanteils bestimmt:
\[ \text{NAV} = \frac{\text{Gesamtwert der Vermögenswerte} - \text{Verbindlichkeiten}}{\text{Anzahl der ausgegebenen Anteile}} \]
Für CNAV- und LVNAV-Fonds ist zusätzlich ein tägliches Monitoring der Abweichung zwischen Marktwert und Buchwert erforderlich. Bei Abweichungen über ±0,20 % (LVNAV) ist auf eine Marktwertbewertung umzustellen.
Liquiditätsquoten lassen sich berechnen als:
\[ \text{Tägliche Liquiditätsquote} = \frac{\text{Anlagen mit täglicher Fälligkeit}}{\text{Gesamtportfolio}} \times 100 \]
\[ \text{Wöchentliche Liquiditätsquote} = \frac{\text{Anlagen mit Fälligkeit innerhalb von 7 Tagen}}{\text{Gesamtportfolio}} \times 100 \]
Diese Kennzahlen sind entscheidend für die Einhaltung der regulatorischen Mindestanforderungen.
Auswirkungen und Bewertung der MMFR
Die MMFR hatte weitreichende Auswirkungen auf die Struktur und Praxis des Geldmarktfondsmarktes in Europa:
- Viele ehemalige CNAV-Fonds wurden in LVNAV oder VNAV-Fonds umgewandelt.
- Die Renditen sanken durch strengere Liquiditätsanforderungen, wurden jedoch durch erhöhte Sicherheit kompensiert.
- Das Risikoprofil des Sektors hat sich insgesamt verbessert.
- Für Anleger wurde die Transparenz erhöht, insbesondere hinsichtlich der Anlagepolitik und möglicher Risiken.
Kritik und Herausforderungen
Trotz ihrer positiven Effekte bleibt die MMFR nicht ohne Kritik:
- Erhöhte Komplexität: Die Unterscheidung verschiedener Fondsarten und Bewertungsmethoden erschwert die Markttransparenz.
- Liquiditätsstress: In extremen Marktsituationen (z. B. COVID-19-Krise 2020) kam es trotz Regulierung zu Abflüssen aus MMFs.
- Regulatorische Arbitrage: Einige Investoren weichen in weniger regulierte Anlageprodukte wie Termingelder oder ausländische Fonds aus.
- Verdrängung kleiner Anbieter: Die erhöhten administrativen Anforderungen führen zu einem Konzentrationsprozess im Markt.
Reformüberlegungen auf EU- und globaler Ebene
Die Europäische Kommission und die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) prüfen laufend, ob weitere Anpassungen der MMFR erforderlich sind. Auch das Financial Stability Board (FSB) und die FATF beobachten die Entwicklungen im Geldmarktfondssektor weltweit kritisch, insbesondere im Hinblick auf potenzielle systemische Risiken.
Diskutiert werden u. a.:
- Einführung einer „Swing Pricing“-Mechanik, um Rückgabeanreize zu entschärfen
- Weitere Einschränkungen für CNAV-Modelle
- Schaffung eines europäischen Liquiditätspuffers
Fazit
Die Money Market Fund Regulation (MMFR) ist ein bedeutender Schritt zur Stärkung der Finanzmarktstabilität in Europa. Sie schafft einen einheitlichen rechtlichen Rahmen für Geldmarktfonds, schützt Anleger und reduziert systemische Risiken. Durch klare Anforderungen an Liquidität, Bewertung, Risikomanagement und Transparenz hat sie das Profil dieser Anlageform grundlegend verändert. Zugleich steht sie vor der Herausforderung, mit den dynamischen Entwicklungen im Kapitalmarkt und im regulatorischen Umfeld Schritt zu halten. Die MMFR ist damit nicht nur ein technisches Regelwerk, sondern ein zentraler Bestandteil der europäischen Finanzmarktarchitektur.