Navinder Singh Sarao (2015) Börsenlexikon Vorheriger Begriff: Flash Crash (2010) Nächster Begriff: Griechenland-Krise (2015)

Ein Fall, der eindrucksvoll zeigte, wie moderne Finanzmärkte durch algorithmischen Handel anfällig für Manipulationen sind

Der Fall Navinder Singh Sarao (2015) ist ein bemerkenswertes Beispiel für die Risiken und Manipulationsmöglichkeiten an den modernen Finanzmärkten. Der britische Händler wurde beschuldigt, durch eine als „Spoofing“ bekannte Technik den berüchtigten Flash Crash vom 6. Mai 2010 mitverursacht zu haben, bei dem der Dow Jones Industrial Average innerhalb weniger Minuten um fast 1.000 Punkte einbrach.

Sarao handelte eigenständig von seinem Elternhaus in einem Vorort von London aus und nutzte ausgeklügelte Handelsalgorithmen, um den Markt in die Irre zu führen. 2015 wurde er schließlich von den US-Behörden angeklagt und nach jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Sein Fall verdeutlichte, wie einzelne Händler mit technischen Mitteln ganze Finanzmärkte destabilisieren können und führte zu einer verstärkten Regulierung des Hochfrequenzhandels (HFT).

Wer ist Navinder Singh Sarao?

Navinder Singh Sarao wurde 1978 in Großbritannien geboren und wuchs in London auf. Er studierte Mathematik und Wirtschaft an der Brunel University und begann danach eine Karriere als Futures-Händler. Er war bekannt für seine außergewöhnlichen Fähigkeiten, Preisbewegungen am Markt vorherzusehen, und machte sich als eigenständiger Händler selbstständig.

Obwohl er mit einfachen Mitteln arbeitete – seine Handelsgeschäfte führte er von einem unscheinbaren Zimmer im Haus seiner Eltern in Hounslow, einem Vorort Londons, aus – hatte er durch seine Algorithmen einen erheblichen Einfluss auf die Märkte.

Spoofing: Die Technik hinter der Marktmanipulation

Sarao nutzte eine als Spoofing bekannte Technik, um den Markt zu beeinflussen.

1. Wie funktioniert Spoofing?

  • Falsche Aufträge platzieren: Sarao platzierte große Verkaufsaufträge für S&P 500 E-Mini Futures, eine Art börsengehandelter Terminkontrakte.
  • Marktbewegungen auslösen: Die Verkaufsaufträge ließen andere Händler glauben, dass der Markt nach unten gehen würde, woraufhin sie ebenfalls verkauften.
  • Echte Geschäfte abschließen: Sobald der Preis gefallen war, kaufte Sarao billig ein.
  • Falsche Aufträge löschen: Er zog die ursprünglichen Verkaufsaufträge zurück, bevor sie ausgeführt wurden, wodurch sich der Markt wieder stabilisierte.

2. Auswirkungen des Spoofings

  • Die von Sarao platzierten Fake-Aufträge machten bis zu 40 % des gesamten Handelsvolumens im S&P 500 Future aus.
  • Dies führte zu einer erheblichen Verzerrung der Marktpreise und trug dazu bei, dass der Flash Crash von 2010 eskalierte.
  • Spoofing war zwar illegal, doch es war schwer nachzuweisen, da keine realen Verkäufe stattfanden.

Der Flash Crash vom 6. Mai 2010

Am 6. Mai 2010 fiel der Dow Jones Industrial Average innerhalb weniger Minuten um fast 1.000 Punkte (rund 9 %), nur um sich kurz darauf wieder zu erholen.

  • Erste Theorien gingen davon aus, dass der Crash durch einen Fat-Finger-Fehler (Tippfehler eines Händlers) oder Hochfrequenzhändler ausgelöst worden war.
  • Eine Untersuchung der US-Behörden ergab jedoch später, dass Sarao durch seine massiven Fake-Verkaufsaufträge den Verkaufsdruck verstärkte.
  • Obwohl Sarao nur ein einzelner Händler war, hatte sein Spoofing einen enormen Einfluss auf die Marktmechanismen.

Verhaftung und Anklage (2015)

Fünf Jahre nach dem Flash Crash wurde Sarao am 21. April 2015 in London verhaftet, nachdem die US-Börsenaufsicht (SEC) und das US-Justizministerium ihn als Schlüsselfigur des Flash Crash identifiziert hatten.

1. Die Anklagepunkte

  • Marktmanipulation und Betrug: Er wurde beschuldigt, den Markt manipuliert zu haben, um über 70 Millionen US-Dollar an Gewinnen zu erzielen.
  • Verstoß gegen Handelsgesetze: Spoofing wurde im Dodd-Frank Act (2010) als explizit illegal definiert.

2. Auslieferung an die USA und Geständnis

  • Sarao kämpfte lange gegen seine Auslieferung in die USA, doch 2016 erklärte er sich schließlich schuldig.
  • 2019 wurde er zu einer Gefängnisstrafe von 1 Jahr und einem Tag verurteilt, musste aber nur wenig Zeit hinter Gittern verbringen, da er bereits lange in Untersuchungshaft gesessen hatte.
  • Zudem wurde er zur Zahlung von rund 13 Millionen US-Dollar verurteilt.

Auswirkungen und Konsequenzen

1. Strengere Regulierung des Hochfrequenzhandels

  • Verstärkte Überwachung: Börsenaufsichtsbehörden begannen, algorithmischen Handel genauer zu überwachen.
  • Höhere Transparenzanforderungen: Handelsplattformen mussten neue Maßnahmen einführen, um Spoofing besser erkennen zu können.

2. Bedeutung für den Finanzmarkt

  • Aufdeckung der Anfälligkeit moderner Märkte: Der Fall zeigte, dass einzelne Händler mit der richtigen Technik den gesamten Markt beeinflussen können.
  • Vertrauensverlust in automatisierte Handelsmechanismen: Investoren und Regulierungsbehörden wurden auf die Risiken von Hochfrequenzhandel und Algorithmus-getriebenem Trading aufmerksam.

3. Präzedenzfall für Marktmanipulation

  • Der Fall Sarao war einer der ersten, in dem ein einzelner Händler für einen massiven Markteinbruch verantwortlich gemacht wurde.
  • Er führte zu einer verstärkten Durchsetzung von Gesetzen gegen Spoofing und andere Formen der Marktmanipulation.

Fazit

Der Fall Navinder Singh Sarao (2015) zeigte eindrucksvoll, wie moderne Finanzmärkte durch algorithmischen Handel anfällig für Manipulationen sind. Obwohl Sarao allein von seinem Elternhaus in London aus handelte, hatte er mit seinen Methoden einen erheblichen Einfluss auf die globalen Märkte und spielte eine Schlüsselrolle beim Flash Crash von 2010.

Seine Verhaftung und Verurteilung führten zu einem Umdenken in der Regulierung des Hochfrequenzhandels und machten deutlich, dass einzelne Händler mit ausgeklügelten Strategien selbst die größten Finanzmärkte der Welt destabilisieren können.