BERLIN (dpa-AFX) - Der Russland-Experte Stefan Meister sieht die Teilmobilmachung des Kremls als "weitere Richtungsentscheidung" im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Russland werde trotz jüngst erlittener Niederlagen "nicht deeskalieren oder in eine Form von Waffenstillstandsverhandlungen eintreten", sondern vielmehr weitere Teile der russischen Bevölkerung in den Krieg hineinwerfen, sagte der Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch. Mobilisiert würden nicht nur junge Männer, sondern im Prinzip "jeder, der kampffähig ist" und vor kurzem eine Ausbildung gemacht habe oder in der Reserve sei.

Russland gehe es bei der Aktion darum, Gebiete zurückzuerobern oder zu halten, meint Meister. "Letztlich geht es darum, dass man die besetzten Gebiete integriert durch dieses Fake-Referendum und dann damit dort auch Wehrpflichtige stationieren kann", erklärt der Experte. In den für Russland reklamierten Gebieten könne man dann auch "Atomwaffen oder zumindest atomwaffenfähige Raketen" stationieren.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte in einer Fernsehansprache am Mittwochmorgen eine Teilmobilisierung in seinem Land angeordnet. Zugleich erklärte er, die am Dienstag angekündigten Abstimmungen in besetzten ukrainischen Gebieten über einen Beitritt zu Russland - die weltweit als völkerrechtswidrig angesehen werden - zu unterstützen.

Diese Scheinreferenden würden laut Meister dazu beitragen, die Gebiete für Russland abzusichern. Die Abstimmungen würden unter "massivem Druck auf die Bevölkerung stattfinden", betont Meister. "Das hat nichts mit einem demokratischen oder freien Referendum zu tun." Auch eine freie Arbeit internationaler unabhängiger Beobachter ist bei solchen Scheinreferenden nicht möglich.

Meister glaubt indes nicht, dass sich die Ukraine sich von der neuen Eskalation Russland demotivieren lasse. "Und die Leute, die jetzt eingezogen werden, sind auch nicht unbedingt die Bestausgebildetsten und Kampffähigsten." Es könne Wochen oder gar Monate dauern, bis sie alle einsatzfähig seien. Bis dahin könne die Ukraine noch ganze Landesteile zurückerobert haben.

Zudem gerate Putin in Russland selbst zunehmend unter Druck, gibt Meister zu bedenken. Das Regime erwarte mehr Widerstand aus der eigenen Bevölkerung, der innere Rückhalt schwinde. "Umso mehr die russische Gesellschaft in diesen Krieg hineingezogen wird, umso mehr Opfer, auch Tote auch zurückkommen aus der Ukraine, umso größer wird der Druck sein auf Putin. Ich sehe hier nicht, dass Putin da gut rauskommen wird aus diesem Krieg", sagte Meister. Vielmehr werde er innenpolitisch noch weiter unter Druck geraten./gma/DP/jha